Glauben lernen in der Familie (Kurzfassung)
Bei einem Familientreffen, sprach mich mein Bruder, damals Vater einer zweijährigen Tochter, an: Du hör mal, wir haben da ein Problem! Wir haben das Gefühl, wir müssten mit unserer Christina mal langsam was in Richtung Glaube und Kirche unternehmen. Kannst Du uns da nicht ein paar Tipps geben, wie wir das anfangen können?
Mein Bruder gehört zu der Gruppe junger Eltern - der ich immer wieder begegne -, die noch aus einem christlichen Milieu kommen, aber persönlich zunehmend Abstand genommen haben von ausdrücklicher Glaubenspraxis. Man versteht sich irgendwie als Christ, hat aber mit Kirche, Gottesdienst und Gebet wenig "am Hut".
Dieses irgendwie Christliche ist aber noch stark genug, den Wunsch junger Eltern zu wecken oder wachzuhalten, ihren Kindern einen Zugang zum christlichen Glauben zu ermöglichen. Ich habe die unausgesprochene Anfrage meines Bruders nach klugen Buchtipps mit Informationen über religiöse Erziehung so nach dem Motto: „Wie sag ich's meinem Kinde?“ ignoriert, sondern ihn auf seine persönliche Praxis hin angesprochen:
"Für Christina wird der Glaube nicht zum Thema, wenn sie nicht Christen als Christen in Aktion erlebt, wenn sie nicht miterleben kann, wie Christen ihren Glauben ausdrücken, beten, feiern und erzählen. Kinder lernen Glauben durch Abgucken und Zugucken, wenn Christen zusammen sind. Nimm sie mit in die Kirche oder schaut mal, was ihr selber für eure Glaubenspraxis tun könnt. Vielleicht fahrt ihr mal mit auf ein Familienwochenende..."
Etwas salopp formuliert: Nach Paulus kommt zwar der Glaube vom Hören, für Kinder aber (und nicht auch für uns Erwachsene?) kommt der Glaube vom Sehen, vom Erleben, vom Mitmachen. Deshalb ist für unsere Kinder und für uns selbst der Aufbau einer religiösen Familienkultur lebensnotwendig, wenn wir miteinander glauben lernen wollen.
Natürlich ist der erste Zugang zum Glauben das Zeugnis des Lebens, wie einmal Papst Paul VI. in seinem Lehrschreiben „Evangelii nuntiandi“ betont hat, also die Art und Weise, wie Eltern einander und ihren Kindern Liebe, Geborgenheit und Heimat schenken. Hier entfalten sich die Grundfähigkeiten des Glaubens: Urvertrauen, Beziehungsfähigkeit, Annahme des anderen und Selbstannahme, Freude am Leben, Staunen und Dankbarkeit.
Damit aber der Glaube, der dieses Leben trägt, wachsen kann, damit er für die Menschen, die ihr Leben miteinander teilen, zum "Thema" werden kann, muss er ausdrücklich werden, in Zeichen, Symbolen, in familiären Ritualen, im Erzählen und Feiern, im Beten und in der Teilnahme am Gottesdienst.
Zum Menschen gehört Kultur, d.h. gestaltetes und ausgedrücktes Leben. Kultur gliedert den Lebensstrom und gibt ihm eine Ordnung, die das Leben überschaubar macht. Menschliche Kultur schafft Formen, Ausdrucksgestalten, die ausdrücken und bestätigen, welchen Sinn das Leben für die Menschen hat, was sie in allem Wandel durchträgt.
Religiöse Kultur wie auch eine religiöse Familienkultur ist nun kein frommer Zusatz, der sich auf die Gestaltung des Miteinander-Lebens "draufsetzt", sondern eher eine bestimmte "Färbung" der Formen und Gestalten des gemeinsamen Lebens. Sie setzt menschliche Kultur voraus:
Wo nicht gesprochen wird, wo wenig intime und persönliche Kommunikation gepflegt wird, fällt auch das Beten schwer, wo keine Feste gefeiert und Brauchtum gestaltet wird, verkümmern auch die religiösen Feste, verlieren sie ihre Sinnlichkeit, wo keine Geschichten und Märchen erzählt, Bilderbücher angeschaut werden, verstummt auch das Erzählen religiöser und biblischer Geschichten. Weil die Entfaltung christlicher Lebenskultur auf der Lebenskunst der Familie basiert, ist sie kein Produkt exakter Planung, das man aus klugen Handbüchern lernen kann, sondern sie wächst im alltäglichen Lebensprozess der Familie, wobei die Kinder durchaus aktiv und gestaltend mitwirken. Kinder brauchen gute Gewohnheiten und Rituale, und oft schaffen sie diese Rituale selbst:
Irgendwann einmal haben wir uns nach dem Tischgebet ringsum an den Händen gefasst und uns "guten Appetit" gewünscht. Seitdem streckt Hannah (2Jahre) bei jedem gemeinsamen Essen die Hände aus nach rechts und links und will "...Tit" wünschen. Über diesen vertrauten und gewünschten "Tif-Ritus“ findet sie Zugang zu dem damit verbundenen Ritus Tischgebet. Das Essen bekommt so eine Form, in der sich Vertrauen und Freude ausdrücken können.
Ein wichtiger Ritus - wie in vielen Familien - ist bei uns die "Zu-Bett-geh-Liturgie". Bevor Rafaela (5Jahre) zum Schlafen geht, darf sie noch ein wenig beim Papa „nuckeln“, es wird geschmust und oft wird noch ein Bilderbuch angeschaut. Dann trage ich sie ins Bett, und dort versammelt sich die ganze Familie. Es wird noch ein bißchen erzählt: Was war heute schön....?
Und dann schließt sich das Abendgebet an: Mit ungefähr 3 Jahren hat Rafaela bei einem Familienwochenende ein Vaterunser Lied aufgeschnappt. Das müssen wir nun jeden Abend singen, manchmal singt sie mit, manchmal "lächelt" sie ein wenig vor sich hin und freut sich am Gesang der Eltern. Ein besonderer Höhepunkt des Abendritus ist es, wenn Besuch da ist, dann müssen sich die Großeltern oder unsere Freunde mit ans Bett stellen und den Vaterunser-Chor verstärken.
Auch ist das religiöse Tun, das Abendgebet in einen vertrauten und wichtigen familiären Ritus eingebunden. Im Mittun anderer Menschen, die nicht mit uns zusammenleben, erleben wir nun etwas, was grundlegend wichtig ist beim Wachstum des religiösen Lebens in der Familie.
Wir können nicht nur aus eigener Kraft leben und unser Leben in der Familie gestalten. Wir brauchen die Kontakte mit anderen Familien, das Gespräch, den Austausch, das gemeinsame Einüben und Ausprobieren neuer Formen, die Wiederentdeckung des Brauchtums, das Feiern von Festen, das Erzählen und Spielen.
Eltern bestätigen mir immer wieder, dass sie das, was sie für ihr religiöses Leben in der Familie brauchen, "draußen" holen, in der Gemeinde, in der Familiengruppe, bei Familientreffs und Familienwochenenden. Gerade bei religiösen Familienwochenenden oder Familienexerzitien, wo Glaube und Leben in Gespräch, Spiel und Gottesdienst gemeinsam erlebt und eingeübt werden, erfahren viele Familien (manche oft zum ersten Mal), wie gut es tut, sich gemeinsam mit den Kindern und anderen Familien unterwegs zu wissen, wo sie Erfahrungen sammeln mit Formen religiöser Familienkultur, wo der Gottesdienst als Fest erlebt wird, als Höhepunkt und Zusammenfassung konkreten Lebens. Und gerade die Kinder "schnappen" vieles auf und halten es im häuslichen Alltag präsent, wenn wir nur darauf eingehen.
Die Entwicklung religiöser Familienkultur ist keine private Angelegenheit, wie uns das Bild der privatisierten Kleinfamilie suggerieren möchte, sondern verweist uns über den Binnenraum der Familie nach draußen: Glauben kann man nicht allein! Je mehr wir uns als Familien miteinander verbinden und uns als Suchende und Hoffende, Zweifelnde und Probierende erfahren, um so lebendiger wird auch das Miteinander in den vier Wänden.
Hans-Jakob Weinz (1987/2006)
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Text: Hans-Jakob WeinzIn: Pfarrbriefservice.de