Gut leben statt viel haben
Vier Impulse der Schöpfungsspiritualität
1. Das Leben schmecken. Eine neue Mahlkultur
Die grundlegende Abhängigkeit des Menschen ist die von der Nahrung. Ohne ausreichende Nahrung geht der Mensch wie alle Geschöpfe schnell zugrunde. Folgerichtig ist die erste Bitte des Vater Unser, in der wir für uns selber beten, die Bitte um das tägliche Brot. Nahrung wächst umsonst – für uns Menschen und alle Geschöpfe dieser Erde. Und sie wächst ausreichend: „Es wäre genug für alle da!“. So lautete die Botschaft des Päpstlichen Rats Cor Unum anlässlich der Welternährungskonferenz 1996. Trotz wachsender Weltbevölkerung müsste niemand hungern. Gott sorgt für seine Geschöpfe.
Und doch hungern eine Milliarde Menschen und haben zwei Milliarden keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Landwirtschaft ist weltweit für 25 Prozent der Treibhausgas-Emissionen, für die Erosion vieler Böden, die Abholzung der (Regen-)Wälder und die Belastung von Boden und Wasser mit Chemikalien verantwortlich. Und der Lebensmittelmarkt wird von einem gnadenlosen Preiskampf beherrscht – um jeden Cent feilschen die KäuferInnen bei ihrer Ernährung.
Umkehr tut Not zu einer neuen Mahlkultur: Ehrfürchtig säen und ernten statt rücksichtslos zu produzieren. Lebensmittel regional einkaufen, damit sie keine unnötigen Transportwege zurücklegen; aus ökologischer Landwirtschaft, die die Nebenwirkungen für die Umwelt minimiert; saisonal, um den Wandel der Jahreszeiten auch auf dem Teller zu erleben; zu fairen Preisen, damit alle LandwirtInnen in der einen Welt von ihren Produkten gut leben können. Fleischarm essen, damit die Tiere artgerecht gehalten werden können und die Industrieländer keine Futtermittel mehr aus armen Ländern importieren müssen. Fasttage und Fastenzeiten neu entdecken. Am schön gedeckten Tisch in aller Ruhe miteinander dankbar genießen, was der Schöpfer uns an köstlichen Gaben geschenkt hat. Das Tischgebet pflegen und das Leben aufmerksam schmecken.
2. Heilsam in Bewegung kommen. Eine neue Form der Mobilität
Unterwegssein gehört zum Menschsein unverzichtbar dazu. Der Mensch ist ein „viator“, ein Wanderer. Seine Wege unterbrechen den stressreichen Arbeitsalltag und lassen ihn durchschnaufen. Sie geben ihm Zeit zum Umschalten von einer Tätigkeit zur nächsten, gewähren Abstand vom zuvor Erlebten, damit er wieder aufnahmefähig wird für Neues. Zugleich ermöglichen sie dem Körper aktive Betätigung, den Abbau von Spannungen und den Einsatz vorhandener Energien. Wege tun dem Körper und der Seele gut und führen Menschen zueinander. Wo Menschen sich bewegen, ist Gott mit ihnen unterwegs.
Und doch legt der Mensch dank technischer Hilfsmittel in den letzten 100 Jahren immer größere Entfernungen zurück: Immer öfter ist er immer schneller immer weiter unterwegs. Bei allen Möglichkeiten bringt das eine erhebliche Zunahme an Stress. Bewegungsmangel ist die folgenreichste Krankheitsursache der Industrieländer. Die Lärmbelastung des Verkehrs macht viele Menschen krank. Zudem ist der Verkehrssektor der größte Verursacher von Treibhausgasen und der hungrigste Verbraucher von Energierohstoffen.
Umkehr tut Not zu einer neuen Form der Mobilität: Sich gesund und schwungvoll bewegen statt immer nur in der geschlossenen Blechkiste zu fahren. Langsamkeit als Segen wahrnehmen, weil das Leben entschleunigt wird. Alltagswege als kleine Wallfahrten verstehen, die uns Gott und seinem Leben näher bringen. Kurze Wege nutzen statt lange Strecken zu produzieren. Die Schönheit der eigenen Heimat entdecken und wertschätzen. Und wenn schon fahren, dann gemeinsam statt einsam – im Zug, im Bus, in der Fahrgemeinschaft. Autofasten. „Heilsam in Bewegung kommen“.
3. Treuhänderisch behüten. Ein neues Konsummodell
Die Erde ist eine Leihgabe, dem Menschen anvertraut, um sie zu bebauen und zu behüten (Gen 2). Er darf die irdischen Güter nutzen, aber sein Besitz im strengen Sinne sind sie nicht. Die Schöpfung gehört dem Schöpfer und niemandem sonst. Er verleiht sie zu treuen Händen. Durch ihre Nutzung können alle Geschöpfe gut leben. Jedes Geschöpf ist wertvoll aus sich selbst heraus und braucht seinen Wert nicht durch den Besitz bestimmter Statussymbole zu beweisen. Konsum ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck der Befriedigung echter (Grund-)Bedürfnisse.
Und doch erfasst die Gier des Konsums immer mehr Menschen in den reichen Ländern. Einkaufen wird zur neuen Religion, Einkaufszentren zu Tempeln einer anderen Welt. Geiz ist geil – für möglichst wenig Geld soll möglichst viel gekauft werden. Dabei wird ausgeblendet, dass Billigprodukte oft große Umweltzerstörung anrichten und unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen erzeugt werden. Schnell werden sie wieder weggeworfen, da sie oft kurzlebig und wenig beständig sind.
Umkehr tut Not zu einem neuen Konsummodell: Einkaufen mit (Augen-)Maß, weil wir sonst im eigenen Besitz ersticken. Das „Genug“ erkennen, die Grenze dessen, was uns gut tut, denn es muss nicht immer mehr sein. „Zeitwohlstand statt Güterreichtum“ genießen (Studie Zukunftsfähiges Deutschland). An lang-lebigen und umweltverträglichen Produkten guter Qualität Freude haben. Den eigenen Besitz pflegen und mit Samthandschuhen anfassen, so als wären es Kelch und Schale der Eucharistie (Regel Benedikts, Kapitel 36). Selten gebrauchte Gegenstände gemeinsam nutzen (Car-Sharing, Teilen von Gartengeräten usw.). Für die Güter dieser Erde dankbar sein. Und diese treuhänderisch behüten.
4. Gastfreundlich die Türen öffnen. Ein neuer Stil des Wohnens
Der Mensch hat auf dieser Erde keine bleibende Stätte – und doch braucht er Beheimatung an einem Ort, der sein Zuhause ist. Jeder Mensch darf und soll einen solchen Ort haben – als Zuflucht und wärmendes Nest, als Raum der eigenen Gestaltung und des familiären Miteinanders. An diesem Ort kann er die fürsorgliche Zuwendung und den bergenden Schutz Gottes erfahren. Dieser Ort soll offen stehen für Gäste und Freunde, Kinder und Alte, Fremde und Kranke: Denn im Gast kehrt Gott selbst in unser Haus ein (Mt 25).
Und doch: Häuser und Wohnungen in den Industrieländern werden immer größer, haben immer mehr Räume für immer weniger Menschen, werden zu Traumschlössern mit angeschlossenem Wellness-Zentrum. Trotz massiv verbesserter Wärmedämmung und weit effizienteren Heizungen verbrauchen sie daher in den Industrieländern gegenwärtig die gleiche Heizenergie wie vor vierzig Jahren – weil das gesamte Haus (und nicht nur ein Raum oder wenige Räume) mitten im Winter auf sommerliche Temperaturen beheizt wird. Fast ein Viertel der Treibhausgasemissionen wird in den Haushalten verursacht. Zudem geht der Flächenverbrauch durch Neubauten fast ungebremst weiter.
Umkehr tut Not zu einem neuen Stil des Wohnens: Bescheidene Gemütlichkeit statt herrschaftlichen Reichtum einrichten. Die eigene Wohnung zu einem Ort gastfreundlicher Begegnung der Kulturen und Generationen machen. Die Energiebilanz der Häuser durch effiziente Gebäude (Passivhäuser aus ökologischen Materialien, Heizsysteme mit regenerativer Energie) und maßvollen Lebensstil wirksam senken. Autofreie Wohngebiete gestalten, die für Jung und Alt einen Lebensraum bieten, ohne große Flächen zu fressen. Gastfreundlich die Türen öffnen. Und Gott im eigenen Heim willkommen heißen.
Prof. Dr. Michael Rosenberger, Wien
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Text: Prof. Dr. Michael RosenbergerIn: Pfarrbriefservice.de