Hoffen wider alle Hoffnung
„Christus ist auferstanden“ – Was hat das mit unserem Leben zu tun?
Ich vermute, dass Sie am Ostermorgen nicht mit einem anderen Gefühl aufwachen werden als am Tag zuvor. Die Welt hat sich – Ostern zum Trotz – einfach weitergedreht, und es ist zu befürchten, dass sie kein bisschen besser geworden ist. Die Nachrichten dürften noch genauso deprimierend sein, und es ist nicht auszuschließen, dass es auch in der Osternacht zu neuen Katastrophen auf der Welt kommen wird. Auch dann werden Menschen sterben – an Hunger, an Krieg, an Unfällen, an Krankheit, am Alter. Das ist nicht nur in diesem Jahr so, das ist seit 2.000 Jahren so.
Und doch heißt es Jahr für Jahr an Ostern: „Christus ist auferstanden“. Überall in der christlichen Welt werden Millionen von Gottesdienstbesuchern diesen Satz zugerufen bekommen. Es ist das große Geheimnis des christlichen Glaubens, das die Kirche an Ostern feiert: Jesus Christus hat durch seine Auferstehung den Tod besiegt. Er hat ihm die Macht genommen. Für Christinnen und Christen ist das Grund zur Hoffnung: Weil Jesus den Tod überwunden hat, können auch wir ihn überwinden. Er muss das menschliche Leben nicht beherrschen. Der Glaube an die Auferstehung ist sogar so stark, dass der Tod nicht einmal am Ende des menschlichen Lebens seine Macht entfalten muss. Wenn ein Mensch stirbt, bedeutet das für den christlichen Glauben nicht die völlige Auslöschung, den Abbruch aller Beziehungen. Niemand geht verloren durch den Tod.
Was ist anders geworden?
Die Frage bleibt dennoch: Was ist anders geworden durch Ostern oder vielmehr durch die Auferstehung Jesu Christi? Ist seit diesem Geschehen vor 2000 Jahren nicht einfach alles weitergegangen wie zuvor auch?
Nun, wenn man von der sichtbaren, messbaren Welt ausgeht, hat sich durch Ostern tatsächlich nicht viel verändert. Der Tod ist in der Welt geblieben, und viele Menschen, egal ob christlich oder nicht, stehen dem, was am Ende des Lebens wartet, mit Angst, Zweifel oder zumindest unguten Gefühlen gegenüber. Zudem wird es immer schwieriger zu akzeptieren, dass es noch eine andere Wirklichkeit geben könnte als die sichtbare und messbare Welt. Das Denken, das wir von klein auf vermittelt bekommen, ist vor allem ein naturwissenschaftliches Denken, das eben nur das als wahr annimmt, was tatsächlich sichtbar und messbar ist. Was nach dem Tod kommt, hat noch nie jemand gemessen. „Auferstehung“ hat noch niemand gemessen. Niemand konnte je darüber berichten, was „Auferstehung“ im Zusammenhang mit dem leiblichen Tod bedeutet, wie es sich anfühlt. Der Jesuitenpater Alfred Delp hat diese Tatsache in der dramatischsten Situation, die man sich vorstellen kann, auf den Punkt gebracht. Als man ihn im Jahr 1945 zur Hinrichtung führte, sagte er zu dem ihn begleitenden Gefängnispfarrer: „In wenigen Augenblicken weiß ich mehr als Sie.“
Trotz allem heißt das nicht, dass Ostern für unsere Welt einfach „folgenlos“ geblieben ist. Wenn auch die Erfahrung von Auferstehung eine sehr persönliche Angelegenheit ist, ich halte es für wahrscheinlich, dass der über Jahrhunderte weitergegebene Glaube daran unser Verhalten, unser Denken mehr geprägt hat, als man es in unserer aufgeklärten Welt vielleicht wahrhaben möchte. Es mag vielfach kein bewusster Bezug zu dem christlichen Glauben und dem österlichen Geschehen hergestellt werden. Aber immer dann, wenn dem Tod nicht das letzte Wort gelassen wird, wenn Dinge nicht einfach hingenommen werden, wenn aller schlechter Prognosen zum Trotz die Hoffnung bestehen bleibt, wenn man in tiefster Dunkelheit noch Licht erkennen kann – dann scheint etwas von dem auf, was die Jüngerinnen und Jünger, die Jesus nachfolgten, nach seinem schrecklichen Tod erfahren haben.
Hoffen wider alle Hoffnung
Ich würde gerne annehmen, dass genau dieses Hoffen wider alle Hoffnung den Kern jenes christlichen Abendlandes ausmacht, von dem wieder viel die Rede ist. Doch bei den vielen Protesten gegen Flüchtlinge und Muslime, in deren Kontext der Begriff auftauchte, war damit leider wohl etwas ganz anderes gemeint. Gerade an Ostern möchte ich allen Versuchen, aus dem christlichen Abendland einen Ausgrenzungsbegriff zu machen, entgegenhalten: Das christliche Abendland ist in erster Linie ein Inhalt, eine Botschaft. Und für diese Botschaft ist der Glauben an die Auferstehung so notwendig wie die Luft zum Atmen. Mit dem Glauben daran, dass ein Gekreuzigter lebendig ist, begann die Geschichte dieses neuerdings so beschworenen christlichen Abendlandes. Und ohne diesen Glauben ist der Begriff nichts weiter als eine leere Phrase. Ohne die hartnäckige Hoffnung, dass in der Mitte der Nacht der Anfang eines neuen Tages wartet, ist es sinnlos, überhaupt damit anzufangen.
Wenn ich Ihnen also Frohe Ostern wünsche, dann wünsche ich Ihnen Auferstehungserfahrungen – von Dingen, die festgefahren waren und plötzlich wieder neu in Bewegung geraten; von Hoffnung, mitten in der Hoffnungslosigkeit; von Licht, das in die Dunkelheit hinein scheint.
Dr. Claudia Nieser
Quelle: Katholische Hörfunkarbeit für Deutschlandradio und Deutsche Welle, Bonn, www.katholische-hörfunkarbeit.de, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Dr. Claudia Nieser, www.katholische-hörfunkarbeit.deIn: Pfarrbriefservice.de