„Humor führt uns aus der Opferrolle“

Ein Gespräch mit der Psychotherapeutin Dr. Doris Bach

Man könnte denken, dass in Krisen und persönlich sehr belastenden Situationen eher selten gelacht wird. Aber tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall. Wie kommt das?

Doris Bach (Lehrbeauftragte für das Fach „Humor in der klinischen und Gesundheitspsychologie“ an der Universität Wien und klinische Psychologin und Psychotherapeutin in eigener Praxis): Von Viktor Frankl, dem Urvater des Humors in der Psychotherapie, stammt das Zitat „Humor ist die Waffe der Seele um Selbsterhaltung“. Es gefällt mir sehr gut, weil es die Distanzierungsfähigkeit von uns Menschen anspricht.

Was ist damit gemeint?

Doris Bach: Humor schafft einen Abstand zwischen mir und der Situation. Er befähigt, eine andere Perspektive einzunehmen und mich ein bisschen über die Situation zu stellen. Ich muss ein Problem ja nicht immer mit der gleichen Einstellung und Überzeugung betrachten, nicht immer auf dasselbe schauen – und damit den Schmerz regelrecht anziehen. Lachen kann eine Übung in Selbsttranszendenz sein: ‚Ich gebe mich einer Sache so hin, dass ich den Schmerz für einen Moment vergesse.‘

Das mit der Selbsttranszendenz verstehe ich nicht ganz.

Doris Bach: Viktor Frankl bezeichnet damit die Fähigkeit, über sich selbst hinauszuwachsen. Mittels Humor lasse ich mich nicht mehr von dem bestimmen, was mir gerade widerfährt, sondern nehme einen höheren Standpunkt ein, von dem aus ich einen anderen Blick auf die Widrigkeiten meines Lebens richten kann.

„Humor entmachtet die Macht des Widrigen in meinem Leben“, hat Anselm Grün mal gesagt.

Doris Bach: Ja, Humor befreit nicht nur von Ängsten, Schmerz, Ärger, er befreit auch aus der Opferrolle. Wenn es gelingt, trotz Kummers auch mal zu lachen, bekommt man einen anderen Blick auf sich und seine Probleme.

Dazu habe ich eine Anekdote gelesen. Eine Frau beklagt sich beim Psychologen, ihr Leben sei eine einzige Katastrophe. Ihr Mann sei unaufmerksam, faul und schlampig, der Job furchtbar anstrengend, sie habe schon wieder zwei Kilo zugenommen, die Kinder tanzten ihr auf der Nase rum und so weiter. Als sie fertig ist, schaut sie den Psychologen erwartungsvoll an, aber der sagt nur: „Na und?“ Wenn ich an diese Geschichte denke, muss ich jedes Mal schmunzeln. Vielleicht auch, weil ich mich in dieser Frau ein bisschen wiedererkenne.

Doris Bach: Sie sprechen hier ein Erlebnis an, das ich vor vielen Jahren auf einem Fachseminar mit dem Titel „Die Behandlung von Depressionen in Hawaii“ hatte. Ich kam in einen großen Raum, in dem Rhythmusinstrumente gespielt wurden. Dort legte man mir eine Blumenkette um. So weit, so gut, aber dann sollte ich auch noch tanzen. Damit hatte ich nicht gerechnet, entsprechend verkrampft bewegte ich mich anfangs. Nach einer halben Stunde lief es besser, und schließlich erklärte die Seminarleiterin, „jetzt haben Sie den wesentlichen Unterschied bei der Behandlung von Depressionen in Europa und in Hawaii verstanden. Wenn zu Ihnen jemand in die Praxis kommt, erzählt er Ihnen vermutlich eine sehr schmerzliche Geschichte, woraufhin Sie teilnahmsvoll sagen, „ich verstehe Sie“. Wenn in Hawaii jemand in die Beratung kommt, hängen wir ihm Blumenketten um, tanzen mit ihm, und dann fragen wir: „Wie fühlen Sie sich jetzt? Und warum sind Sie eigentlich da?“

Tanzen gegen Ärger, Enttäuschungen, Kummer hört sich gut an. Wie funktioniert das?

Doris Bach: Es bringt einen in eine andere Sphäre. So wie Lachen.

Darauf muss man sich aber erst mal einlassen. Menschen mit einer heiteren Veranlagung tun sich da vermutlich leichter.

Doris Bach: Lachen ist uns allen in die Wiege gelegt! Evolutionär gesehen wären wir nicht so lange erhalten geblieben, wenn es nicht das Lachen eines Babys geben würde, das uns verzaubert. Kinder lachen mehr als 400-mal am Tag, Erwachsene nur noch 15-mal. Uns vergeht das Lachen, je älter wir werden. Und warum? Weil wir mehr und mehr überprüfen, wann wir lachen – dürfen. Wir richten unser Lachen an sozialen Normen aus und mit der Zeit verlernen wir es.

Kann man es wieder lernen?

Doris Bach: Auf jeden Fall. Zunächst ist es eine Entscheidung, Humor in sein Leben zu lassen, seine Aufmerksamkeit ganz bewusst der heiteren Seite zuzuwenden. Dazu gehört unter anderem, sich im Alltag nach kleinen Dingen umzuschauen, die einem ein Lächeln entlocken können. So wie der Aufsteller, den ich mal in einer Grazer Bäckerei entdeckt habe. Darauf stand: „Wir haben unsere Ernährung umgestellt.“ Weil ich damals versuchte, mich bei Gebäck etwas zurückzuhalten, hat mich das neugierig gemacht. Ich bin also hinter den Aufsteller und las dort den Hinweis: „Die Kekse stehen jetzt rechts neben der Kasse.“
Eines möchte ich an dieser Stelle betonen: Es geht nicht darum, in jeder Situation krampfhaft etwas Lustiges zu suchen. Aber hier und da ein Lachen in den Alltag zu lassen, ist eine Kunst, die wir unbedingt pflegen sollten.

Gibt es Situationen, in denen Humor gar nicht angebracht ist?

Doris Bach: Die mag es geben, aber zum Glück sind sie sehr, sehr selten. Hier ist eines wichtig zu wissen: Humor nimmt nicht den Ernst. Er nimmt auch nicht den Schmerz. Aber er hilft über das Bedrängende, Niederdrückende, Lähmende einer Krise hinweg. Humor ist eine hochwirksame Bewältigungsstrategie. Er befreit und stärkt uns innerlich und nicht zuletzt verbindet er uns mit anderen. Das ist auch deshalb so wichtig, weil wir aufgrund einer seelischen Belastung schnell in eine gewisse Isolation geraten, was Konflikte oft noch verschärft. Apropos Konflikte. Humor ist auch ein wunderbares Mittel, um Wogen zu glätten. Ich kann nur empfehlen, gerade in angespannten Zeiten einen humorvollen Umgang zu pflegen.

Interview: Xenia Frenkel
Quelle: Leben jetzt. Das Magazin der Steyler Missionare, www.lebenjetzt.eu, In: Pfarrbriefservice.de

Leben mit mehr Humor ... was kann ich tun?

  • Sammeln Sie Momente, in denen Sie denken, „das ist lustig“. Erzählen Sie davon und schmücken Sie Ihre Erlebnisse aus. Rufen Sie sich lustige Begebenheiten und Begegnungen aus der Vergangenheit in Erinnerung. Das ist alles andere als eine oberflächliche Beschäftigung. Wer humorvoll auf das, was in seinem Leben schwer ist, reagieren kann, fühlt sich getragen in dem Vertrauen, dass Leid und Unglück nicht das letzte Wort haben. Anders gesagt: Er fühlt sich von Gott getragen.
  • Entscheiden Sie sich für die Komödie, fürs Kabarett, für den Spaziergang mit Freunden, die gern lachen. Es müssen nicht immer ein Krimi und der Ernst des Lebens sein.
  • Lachen Sie, und wenn es nichts zu lachen gibt, lächeln Sie. Einfach so. Schon nach wenigen Sekunden bekommt man einen anderen Fokus. Einen ähnlichen Effekt hat es, wenn man den Blick für eine Minute senkrecht zur Decke hebt. Sofort öffnen sich Augen und Mund, der Kiefer entspannt sich, man fühlt sich leichter. Schaut man dagegen zu Boden, zieht es nicht nur das Gesicht nach unten. Also Kopf hoch!

Quelle: Leben jetzt. Das Magazin der Steyler Missionare, www.lebenjetzt.eu, In: Pfarrbriefservice.de

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    Text: Interview: Xenia Frenkel, Quelle: Leben jetzt. Das Magazin der Steyler Missionare, www.lebenjetzt.eu
    In: Pfarrbriefservice.de