Im Herbst des Lebens

Wie welke Fältchen daran erinnern können, sich der größten aller Herausforderungen zu stellen: dem Abschied

„Ein welkes Blatt – und jedermann weiß: Herbst.
Fröstelnd klirren die Fenster zur Nacht.
O grüne Welt, wie grell du dich verfärbst!
Schon raschelt der Winter im Laube.“

Man merkt den Zeilen von Mascha Kaléko den Schauder an: Warum nur ist der Sommer schon wieder vorbei? Das satte Grün, das helle Licht, die Wärme auf der Haut und das Gefühl, noch viel Zeit zu haben im Jahr – das hätte doch noch dauern können. Nun erwarten uns hierzulande dunkle Tage und kalter Wind. Das Leben in Stiefeln und Daunenjacke wird beschwerlicher. Da kann man schon ein bisschen jammern. Nur jedermann weiß: Da müssen wir nun durch.

„Ein welkes Blatt und jedermann weiß: Herbst...“ Für mich schwingt in der Melancholie dieses Gedichtanfangs noch etwas anderes mit. Es geht nicht nur um die Bäume, sondern auch um mich. Wenn ich in den Spiegel gucke, dann sagen mit allerhand welke Fältchen um Mund und Augen auch: Herbst. Mein Herbst ist sogar schon ziemlich fortgeschritten. Ich kenne den leisen Schauder beim Blick in den Spiegel schon länger. Nur dass ich dann kaum in melancholischer Ergebenheit denke: Da muss ich nun durch. Ich denke eher: Das darf doch nicht wahr sein!

Dem eigenen Herbst ins Auge schauen

Nicht dass ich jemals daran gedacht hätte, mit Botox oder gar einer Operation gegen den Herbst in meinem Gesicht anzukämpfen. Das ginge mir dann doch zu sehr gegen die Natur. Aber ich hege doch eine vage Hoffnung, die Regenerationscreme für die reife Haut könnte das Welken aufhalten. Und im Übrigen ist der Vergrößerungsspiegel längst auf die andere Seite gedreht und oft wasche ich mir die Hände lieber mit gesenktem Kopf. Wenn ich mich nicht vor Augen habe, merke ich es ja nicht. Es ist ja wahr, man fühlt sich nicht alt. Man findet es einfach normal, auf dem Fahrrad recht bedächtig unterwegs zu sein.

„Ein welkes Blatt und jedermann weiß: Herbst...“ Und in der Tat, jedermann würde es ziemlich blöd finden, das nicht zu wissen, was doch offenkundig ist. Jetzt denke ich schon manchmal: Bin ich nicht auch blöd, wenn ich meinem eigenen Herbst nicht so richtig ins Auge schauen mag? Manchmal gucke ich tapfer richtig hin, wie sich da schon der Winter ankündigt. Und sage mir: Es gibt nur doppelten Grund, jetzt fröhlich zu sein. Du musst dich nicht mehr anstrengen. Du musst nichts mehr beweisen. Auch nicht mit deinem Aussehen. Musst dich nicht mehr kümmern um deinen Stand in der Welt – du darfst einfach da sein, neugierig auf den Tag und die andern. Deine Zeit genießen.

Die größte aller Herausforderungen

Das alles versprechen mir meine Falten. Wenn ich sie nicht sehe, komme ich vielleicht doch auf die Idee, ich müsste noch viel tun, weil ich mich noch gar nicht so alt fühle. Darum gucke ich hin und gönne mir den Mittagsschlaf. Aber ich will auch nicht die Augen davor verschließen, dass hinter dem Vergnügen von heute die größte aller Herausforderungen lauert: das Alter, der Abschied. Davon will ich nicht kalt erwischt werden, nur weil ich meinen Herbst nicht wahrhaben wollte. Dabei ist es gar nicht einfach, mir das vorzustellen: Die Kraft wird abnehmen, ich werde am Ende vielleicht mich selbst gar nicht mehr unter Kontrolle haben. Die schwere Zeit am Ende des Lebens, in der Bibel wird sie als Zeit des schwindenden Lichts beschrieben. So heißt es im Buch Kohelet:

„Denk an den Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre sich nahen, da du wirst sagen: „Sie gefallen mir nicht;“ ehe die Sonne und das Licht, Mond und Sterne finster werden und Wolken wiederkommen nach dem Regen.“ Koh 12,1-2

Denk dran – diese Tage werden kommen. In der Jugend ist das schwierig, daran zu denken, jedenfalls heutzutage. Aber im Herbst des Lebens, da sollte ich wohl nicht versuchen, mich immer noch weiter jung zu fühlen, sondern lieber dran denken: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, um mein Leben zu genießen und ihm mit einem hellen Herzen entgegenzugehen.

Angelika Obert
Quelle: Wort zum Sonntag (25.10.2014), www.dw.com/de. In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Angelika Obert, www.dw.com/de
In: Pfarrbriefservice.de