Jeden Tag ein bisschen besser?

Ein Artikel zur Selbstoptimierung

Das nennt sich Selbstoptimierung, und die führt über kurz oder lang in den Burn-out. Mit dem viel geschmähten Mittelmaß lebt es sich hingegen besser, als man denkt.

Immer schon haben Menschen danach getrachtet, gewisse Mängel auszugleichen. Die älteste Haarbürste, gefunden in einer Pyramide, ist 5000 Jahre alt. So gesehen ist Selbstoptimierung nichts Neues. Neu ist, dass sich der Sache eine ganze Industrie bemächtigt hat, die uns ziemlich erfolgreich einredet, dass Großes in uns steckt. Insgeheim wussten wir das längst, aber endlich sagt es mal jemand: Du hast Potenzial! Wir müssen es nur ausschöpfen, dann werden wir erfolgreich, glücklich, reich … Wie genau das vonstattengehen soll, bleibt etwas vage, aber dafür gibt es ja Kurse, Coachings, Apps oder irgendwelche anderen „Tools“.

Der Mensch ist keine Maschine

Der Begriff Optimieren kommt aus der Technik, und das sollte einen dann doch ein wenig misstrauisch machen. Maschinen können optimiert werden, Menschen hingegen entwickeln sich, und das hat etwas mit Wachsen und Reifen zu tun, nicht mit irgendwelchen Schrauben, die man nur ein bisschen anziehen muss, damit der Motor Höchstleistungen erbringt.

Am Anschlag

Aber hin und wieder wünscht sich wohl jeder, er wäre wenigstens ein bisschen aufmerksamer, achtsamer, geduldiger, belastbarer, am besten alles zugleich. Dabei wissen wir, dass schon eine einzige, kleine Verhaltensänderung ein hohes Maß an Selbstreflexion, Ausdauer, Geduld und Zeit erfordert. Auch weiß im Grunde jeder, wie schwer Liebe, Familie, Beruf, Gesundheit, Freizeitbeschäftigungen, Sport zu versöhnen sind. Eigentlich gar nicht. „Ich weiß nicht, wie andere das schaffen“, sagte meine Tochter Leonie neulich, als sie nach neun Stunden am Laptop, Schularbeiten kontrollieren und Kuscheln mit ihrem Kind noch ein paar Yoga-Übungen machte. Sie klang müde.

Das perfekte Leben der anderen

Ich scrolle durch die Instagram-Posts einer Amerikanerin. Die junge Frau ist ausgebildete Tänzerin, acht-fache Mutter, lebt mit Traummann in einem Traumhaus auf einer traumhaften Rinderfarm, backt Brot, melkt fürs Frühstück Kühe und Ziegen, was man eben so macht als Bäuerin. Um dem Ganzen buchstäblich die Krone aufzusetzen, hat sie unlängst an der Miss-America- und Miss World-Wahl teilgenommen. Entspannt und gertenschlank, wenige Tage nach der Geburt des achten Kindes. Die Pirouetten drehende Farmersfrau hat sieben Millionen Followerinnen. Mit einer solchen Zurschaustellung des perfekten Lebens wird die Latte immer höher gelegt, und zwar für alle. Insbesondere für jene, die nicht annähernd über vergleichbare finanzielle und persönliche Ressourcen verfügen wie Familie Neeleman.

Die Quadratur des Kreises

Bilder täuschen, und doch machen sie was mit uns. Um sich davon nicht einschüchtern zu lassen, keine Parallelen zum eigenen Leben oder zu dem von anderen zu ziehen, braucht es viel innere Stärke und einen sehr nüchternen Verstand. Josef Zierl, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, hat in seiner Münchner Praxis tagtäglich mit den Auswirkungen der Selbstoptimierung zu tun. Er sagt, „der Wunsch und auch die gesellschaftliche Forderung nach ständiger Steigerung führen zur Entgleisung der Selbstverwirklichung. Weil sie immer neue, höhere Ideale erzeugt, an denen die Einzelnen immer wieder scheitern.“ Diesem Sog kann man sich kaum entziehen. Weil wir soziale Wesen sind. Wir wollen gesehen, anerkannt werden, dazugehören. In einer Welt, wo die Anforderungen in Alltag und Beruf kontinuierlich steigen, muss man dafür immer mehr tun, und weil das so ist, suchen immer mehr Menschen händeringend nach Mitteln, um produktiver, aufmerksamer, belastbarer zu werden und zugleich achtsamer und entspannter. Das kann nicht funktionieren. Was also tun?

Zurück zum menschengerechten Maß

Es könnte helfen, sich bewusst zu machen, dass wir alle Mittelmaß sind. Weltweit haben nur knapp fünf Prozent einen Intelligenzquotienten, der nach oben oder unten merklich vom Durchschnitt abweicht. Mittelmaß meint übrigens nicht Mittelmäßigkeit. „Es heißt aber sehr wohl, die Beschränktheit menschlicher Möglichkeiten zu erkennen“, schreibt Markus Reiter in seinem Buch „Lob des Mittelmaßes“. Somit sei das Mittelmaß „das menschengerechteste Maß“. In einem Artikel des katholischen Theologen Johannes Röser entdecke ich einen Satz, der gut zu diesem Gedanken passt: „Im Lob der Fehlbarkeit und in dessen Anerkennung erst werden die Menschen menschlich, bescheiden, einsichtig, gerecht, ehrfürchtig. Manchmal auch wieder gottesfürchtig – fromm.“ Es wäre zu hoffen.

Xenia Frenkel, Quelle: Leben jetzt. Das Magazin der Steyler Missionare, www.lebenjetzt.eu, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Xenia Frenkel, Quelle: Leben jetzt. Das Magazin der Steyler Missionare, www.lebenjetzt.eu
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