Kritisches aus Sicht des Fußballs zur Kirche

Ist Fußball nicht eine Art von Ersatzreligion zumindest für einige besonders eingefleischte Fans geworden? Das ist ganz sicher so, aber es gibt auch den einen oder anderen passionierten Kleingärtner, den im Schützenverein Aktiven, den vollständig in seinem Beruf aufgehenden Menschen, für den seine Tätigkeit ebenso Lebensziel, Lebensinhalt und Lebenssinn darstellt wie die Fußballverehrung einiger Fans. Die Frage der Ersatzreligion stellt sich auch anderswo - und sie ist auch immer eine Anfrage an die Kirche, warum Menschen nicht Gott, sondern ganz anderen Dingen die Ehre geben, die eigentlich ihm gebührt. Und da läßt sich aus Sicht des Fußballs schon einiges Kritische zur Kirche sagen:

Nahe genug am Gefühl der Menschen?

Ich beginne mal mit dem Singen. Ich bin immer wieder platt, wenn ich im Stadion die gewaltigen Männerchöre singen höre. Sind die gleichen Männer in der Kirche, singen sie entweder gar nicht oder nur leise vor sich hin. Am Singen-können kann es also nicht liegen. Sicher, hier spielt mit, daß es sich in großen Gruppen leichter singen läßt, das kennen wir von großen kirchlichen Veranstaltungen ja auch. Aber trotzdem frage ich mich: Singen wir in der Kirche so begeistert und engagiert wie die Fans im Stadion? Vielleicht liegt es ja auch an den Liedern, die wir in der Kirche singen, dass viele, vor allem jüngere Menschen und vor allem Männer sich mit den Texten nicht identifizieren können, weil sie zu altertümlich klingen oder sie nicht das Gefühl haben, darin vorzukommen. Sicher hat Singen auch mit Gewohnheit zu tun, aber ich frage mich schon, ob wir mit unseren Gottesdiensten wirklich nahe genug am Gefühl der Menschen dran sind.

Sind wir begeistert?

Die nächste Frage, die ich vom Fußball her an uns Kirche habe, lautet: Sind wir von unserer Sache so überzeugt und begeistert, wie die Fans im Stadion? Ist unser Einsatzwille und unsere Einsatzbereitschaft so stark? Das ist sicher eine gefährliche Frage, weil manch einer von uns sich schon genug, manchmal auch mehr als das, ehrenamtlich einsetzt. Aber ich frage schon, mich selbst auch, ob wir von unserer Sache, dem Glauben, so begeistert sind, dass die Begeisterung uns aus allen Knopflöchern heraus kommt? Ein Fan scheut sich nicht, laut vor aller Welt seine Überzeugung heraus zu posaunen. Und wir? Sicher, es gibt erhebliche Unterschiede zwischen dem Bekenntnis zu einem Fußballverein und dem Bekenntnis zu Gott, völlig klar. Aber ich denke auch, dass die Begeisterungsfähigkeit der Fußballfans uns für unseren eigenen Bereich zu denken geben sollte.

Voller Lebenslust und Lebensfreude?

Vielleicht liegt ein Grund für die Begeisterungsfähigkeit der Fans in der überschäumenden Lebenslust, die hinter der Fußballbegeisterung sichtbar wird. Die Vorfreude auf ein Spiel ist riesig, für die Anfahrt werden Kosten und Mühe nicht gescheut (sicher auch manchmal zum Ärger der restlichen Familie!), das Erleben im Stadion ist prickelnd, und die ganze Fußballbegeisterung ist (in der Regel) voller Lebenslust und Lebensfreude. Diese wird sogar im freundlichen Streit zwischen den Fans der verschiedenen Mannschaften sichtbar, ich habe es oft im Stadion so empfunden, dass in den gegenseitigen Schlachtgesängen auf sehr humorvolle Weise Aggressionsabbau betrieben wird (es gibt da natürlich auch Ausnahmen). Nun ist ganz sicher der Glaube nicht mit Lebensfreude und Lebenslust gleichzusetzen, Glaube hat es ja oftmals auch und zu Recht mit den Schattenseiten des Lebens zu tun. Aber wenn wir bekennen, dass unser Glauben mit der ganzen Welt zu tun hat, dann eben auch mit Lebenslust und Freude, und dann eben auch mit Sport und Sportbegeisterung. Ich denke, für die meisten Fans und Spieler steht diese Lebenslust und Freude am Sport im Vordergrund, nur eine Minderheit sieht darin den einzigen Lebenssinn. Und von der Lebensfreude, die sich im Sport ausdrückt, etwas hinein holen zu können in unsere kirchlichen Aktivitäten, das würde ich mir wünschen, damit auch in der Kirche neben der Beschäftigung mit den schweren Seiten des Lebens ein stärkeres Bekenntnis zu der Freude und der Lust am Leben spürbar wird. Lebenslust und -freude sind ebenfalls von Gott geschaffen worden - für uns. In diesem Sinne wünsche ich allen Fußballfans eine gesegnete Fußball-Weltmeisterschaft. Und den anderen wünsche ich, daß sie mit dem Humor, der die Fans oft auszeichnet, die Fußballanhänger in dieser Zeit begleiten oder auch in Ruhe lassen können.

Amen.

Pfarrer Matthias Jung

Den vollständigen Text der Predigt sowie Näheres zu Pfarrer Matthias Jung finden Sie im Internet unter http://www.matthias-jung.de/Fussball.html

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Text: Pfarrer Matthias Jung
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