Lieder für das Leben und für die Erneuerung der Kirche

Rockbands und fetzige Lieder haben mit dem Neuen Geistlichen Lied (NGL) Einzug in die Gotteshäuser gehalten. Wie verhält sich das NGL zur klassischen Kirchenmusik, was will es erreichen und welche Rolle könnte Musik für die Kirche in der Zukunft spielen? Diesen Fragen stellte sich Klaus Simon, Pastoralreferent und Referent für Neues Geistliches Lied im Bistum Würzburg.

Frage: Es gibt die klassische Kirchenmusik und es gibt das Neue Geistliche Lied (NGL). Warum diese Trennung und gibt es auch Gemeinsamkeiten?

Klaus Simon: Neues Geistliches Lied ist nicht im Rahmen von Kirchenmusik im klassischen Sinn entstanden. Seine Wurzeln finden sich eher außerhalb bei Versuchen von Nicht-Kirchenmusikern wie Peter Janssens in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, Liturgie neu zu gestalten, aber auch Kirche zu erneuern und eben dafür auch eine andere Musik zu verwenden.

Die klassische Kirchenmusik diente lange Zeit schwerpunktmäßig der musikalischen Gestaltung von Liturgie im traditionellen Sinn und hat sich gegenüber NGL bis in die 90er Jahre kritisch-ablehnend bis diffamierend verhalten – und tut das übrigens heute teilweise wieder.
Neues Geistliches Lied fand und findet jedoch Einsatz- und Verwendungs-möglichkeiten weit über die Liturgie hinaus: In der kirchlichen Jugendarbeit, im Religionsunterricht, bei Gemeindefesten, in den Katechesen, ja sogar am Lagerfeuer im Rahmen von Familienwochenenden und Jugendfreizeiten wird es gesungen, gespielt und getanzt. Es ist sozusagen Glaubens- und Lebenslied auch über kirchliche Szenegrenzen hinaus.
Die offizielle Kirchenmusik spricht zwar teilweise seit geraumer Zeit davon, dass das NGL auch zu ihr gehöre und dass sie das auch selbst gut spielen und singen könne. Sowohl von der kirchenmusikalischen Ausbildung her als auch in der Aufführungspraxis gehört aber bandtypisches Musizieren immer noch zu den kirchenmusikalischen Stiefkindern und es fehlt oft das musikalische Feingefühl für „weltliche“ Rock- und Popmusik. Auch chorisches Singen von NGL oder Gospel mit Klavierbegleitung muss noch lange nicht echte NGL-Musik sein. Insofern bleibt die Frage, ob man hier nicht eher von einem „feindlichen Übernahmeversuch“ sprechen kann.
Allerdings gibt es im Bistum Würzburg in Form eines Bandfonds (aus dem Orgelfonds abgezweigt) für die Anschaffung von Verstärkeranlagen und gelegentlichen Austauschtreffs auch Gemeinsamkeiten.

Frage: Sie engagieren sich beruflich als Referent für Neues Geistliches Lied im Bistum Würzburg und privat mit Ihrer Gruppe Taktwechsel für das Neue Geistliche Lied. Warum?

Klaus Simon: Mir ging und geht es darum, Kirche und ihre Frohe Botschaft „live“ zu den Menschen zu bringen – und das gelingt mit dieser rhythmischen Musik der Glaubens- und Lebenslieder vorzüglich – auch über kirchliche Räume hinaus. Die CDs von Taktwechsel (www.taktwechsel.de) sind somit „Tonträger“ der Frohen Botschaft im wahrsten Sinn des Wortes. Gute und stimmige Neue Geistliche Lieder sind ein emotional, spirituell und geistig-verstandesmäßig hochansprechendes Medium, zumal es bei diesen Songs auch sehr auf die Texte ankommt. Dazu kommen noch liturgische Tänze auf NGL mit der Münchner Tanzpädagogin Gertrud Prem, um die Möglichkeiten des ganzheitlichen Glaubensausdrucks weiter zu entwickeln.

Frage: Sind Neue Geistliche Lieder heute noch für junge Leute ansprechend?

Klaus Simon: Jede Generation hat ihre eigene Musik und musikalische Formen dafür – auch glaubensmäßig. Junge Menschen müssen deshalb auch ihren eigenen musikalischen Glaubensausdruck selbst entwickeln können. Ob das dann NGL heißen muss, bleibt offen. Kirche muss sich heute fragen, wie sie den jungen Leuten selbstlos dabei hilft, dass diese ihren Glauben unter die kritische musikalische Lupe nehmen und in ihrer je eigenen Sprache und Melodie, ihrem Rhythmus und Sound auszudrücken lernen. Das findet aber wohl am allerwenigsten innerhalb der klassischen Kirchenmusik statt – eher schon im Rahmen von Tagungen und Weiterbildungsmöglichkeiten rund um das NGL (vgl. z.B. www.bands.bistum-wuerzburg.de). Auch die Kirchliche Jugendarbeit wäre gut beraten, diese Problematik noch mehr als bisher in den Blick zu nehmen und dafür eigene musisch–musikalische Räume und Angebote zu schaffen. NGL ist somit zwar nicht auf der ganzen Linie jugendtypisch, aber es glückt damit z.B. in den Katechesen immer noch mehr an ganzheitlicher Glaubensweitergabe im Vergleich zu reiner Inhaltsvermittlung per Wort oder kopflastigen Methoden.

Frage: Was sagen Sie Menschen, die die modernen Formen von Kirchenmusik als bloße Anpassung an den Zeitgeist werten?

Klaus Simon: „Wo leben Sie denn?“, würde ich antworten. Jeder Mensch kann seinen Glauben nur jetzt zum Ausdruck bringen und weiterentwickeln, in der Zeit, in der er lebt und in den Formen, die er kennt, die ihm was sagen und die ihn tragen. Insofern sind Glaube und Kirche nicht nur von dieser Welt, aber immer schon auch in dieser Welt angesiedelt, wie das II. Vatikanum es beschreibt. Dann dürfte auch kein moderner Kirchenbau stattfinden und könnten Katechesen nicht in immer wieder neuen Formen gehalten werden. Wozu bräuchten wir aber dann noch den Heiligen Geist mit seiner Kreativität und unsere Charismen, zu denen auch unsere Musikalität gehört?

Frage: Für manche Gottesdienstbesucher ist das Spielen einer Band ein Grund, nicht in den Gottesdienst zu gehen. Was würden Sie solchen Menschen sagen?

Klaus Simon: Man kann sich ja immer schön vorher informieren, wer im Gottesdienst spielen wird (aus dem Pfarrbrief?!). Man kann aber auch Toleranz üben und neue Gottesdienstformen ausprobieren: So verschieden wie die Gottesdienstbesucher altersmäßig und von der Einstellung her sind, so verschieden müssen auch die musikalischen Beiträge sein. Gottesdienste mit mehreren Musikstilen und Formen nebeneinander („Stilmix“) werden so übrigens immer häufiger: ein instrumentales Orgelstück und ein Mozartmessteil neben NGL und Kinderlied – und vielleicht noch ein Jazzstück mit Saxophon und Orgel? Eventuell spielt z.B. auch noch die Blasmusik vor und nach dem Gottesdienst am Weißen Sonntag. Bandarbeit ist auch nicht zu unterschätzen als gemeindebildendes Mittel: Jugendliche finden sich zusammen, um Gottesdienst mitzugestalten – und oft dann nicht nur musikalisch. Da entwickelt sich weitaus mehr als nur Proben und Spielen von NGL. Das ist kirchliche Jugendarbeit in Form einer sich regelmäßig treffenden Gruppe, die sich auch noch liturgisch engagiert. Das gibt’s oft sonst gar nicht mehr.

Frage: Sie haben in Ihrem Pfarrverband so genannte Out-of-church-Musikgottesdienste initiiert, für kirchenfernere Menschen. Welche Erfahrungen machen Sie, gerade mit der Musik in diesen Gottesdiensten?

Klaus Simon: Die Menschen hören den ganzen Tag Radio oder CD, schauen Musiksendungen im Fernsehen, im Internet oder auf DVD. Der herkömmliche Gottesdienst weist oft eine hohe Text- und Kopflastigkeit auf. Die Idee zu den Out-of-church-Musikgottesdiensten greift diese Erfahrung auf und räumt der Musik und ganzheitlichen Methoden mit viel Interaktionsmöglichkeit und optischen Elementen einen hohen Stellenwert ein. Auch „weltliche“ Songs können religiöse Botschaften enthalten oder glaubensmäßig gedeutet werden. So spielen nicht nur NGL-Gruppen, sondern auch Bands aus der „weltlichen“ Szene.

Frage: Welche Rolle könnte und sollte Musik in der Kirche Ihrer Meinung nach spielen?

Klaus Simon: Wie bereits in meiner Antwort auf die erste Frage beschrieben, hat sich NGL und Kinderlied neben der Kirchenmusik entwickelt. Diese kann deshalb dieses Liedgut und das damit verbundene Kirchenbild nicht einfach adaptieren. Im neuen Gesangbuch werden sich so auch NGL- und Kinderlieder in offensichtlicher Minderzahl finden.

Die Aufgabe für eine zukunftsfähige Kirche stellt sich auf musikalischem Gebiet so: Man kann in einer immer schneller sich entwickelnden Gesellschaft nicht mehr nur auf einen 30 bis 40 Jahre dauernden Erscheinungsrhythmus eines Gesangbuchs setzen, sondern muss auch mit Hilfe von neuen technischen Werkzeugen und Möglichkeiten wie Downloads aus dem Internet am musikalischen Puls der Zeit bleiben und Gottesdienste und kirchliches Leben immer wieder (und nicht nur) musikalisch erneuern. Da müsste allerdings Kirchenmusik einige eigenentwickelte musikalische „Steilvorlagen“ liefern, ehe der Bereich NGL und Kinderlied ruhigen Gewissens seine Eigenständigkeit aufgeben könnte.

Die Fragen stellte Elfriede Klauer, www.pfarrbriefservice.de
Weitere Informationen zum Neuen Geistlichen Lied im Bistum Würzburg unter www.bands.bistum-wuerzburg.de

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Das Schwerpunktthema für November 2010

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Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de