Mir reicht’s, ich geh beten?!
Fast jeden Abend haben wir Diskussionen zuhause – um das Verhalten der Regierung, um die Demonstrationen im Land, um das Entstehen neuer radikaler Parteien, um die Angemessenheit politischen Protests von links und von rechts, um die Fremden im Land, um die Medien und ihre Art der Berichterstattung – jeden Abend Diskussionen, ein Ringen mit Worten, ein Streben, den anderen auf die eigene Seite zu ziehen, Sorgenfalten im Gesicht, ernster Tonfall, Duellanten im Wortgefecht …
Wie wohltuend der Szenenwechsel: Vorabendgottesdienst, das erste Lied: „Nun jauchzt dem Herren, alle Welt. Kommt her, zu seinem Dienst euch stellt; kommt mit Frohlocken, säumet nicht, kommt vor sein heilig Angesicht.“ Ich kann es spüren, wie mein bedrücktes Herz leicht wird. Die Last fällt ab und es muss wohl meine Seele sein, die sich froh erhebt. Ist das Weltflucht? Nein, eher ein Ins-rechte-Verhältnis-setzen. Mitten in meinen Sorgen und Problemen erinnert mich Gott: Ich bin da. Ich lass dich nicht allein. Vertrau mir.
Vor längerem habe ich eine Tasse geschenkt bekommen, auf der stand: Mir reicht’s, ich geh beten. Meine spontanen Gedanken damals: Puh, das klingt sehr fromm. Und ziemlich weltfremd. Mittlerweile sehe ich den Spruch anders. Er beschreibt ziemlich genau, was ich in diesem Vorabendgottesdienst erfahren durfte: in aller Bedrückung eine Erfahrung von Weite, Freiheit und Trost.
Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Elfriede KlauerIn: Pfarrbriefservice.de