"Mit meinem Gott überspringe ich Mauern"
Positive Einreden und wie sie gelingen
Die am meisten praktizierte Methode, auf die negativen Einreden zu reagieren, war für die Mönche die so genannte antirrhetische Methode. Sie besteht darin, dass ich, sobald mir ein negativer Satz in den Sinn kommt, sofort einen positiven Satz dagegensetze. […]
Wir können uns nicht vornehmen, nicht mehr über andere zu urteilen. Der Drang zum Urteilen ist zu groß in uns, als dass wir ihn einfach auslöschen könnten. Sätze wie „Schon wieder der, den kann ich absolut nicht ausstehen, das gibt es doch nicht“ und wie sie alle heißen, mit denen wir über Menschen und Dinge urteilen, sind wie ein Reflex, der in uns automatisch ausgelöst wird, wenn wir bestimmten Menschen begegnen oder bestimmte Dinge sehen. Wir sind machtlos. Verstand und Wille kommen da zu spät. Aber wir können uns einen anderen Reflex, eine andere Reaktion auf bestimmte Menschen und Dinge angewöhnen. Es braucht einige Übung, bis so ein positives Reaktionsmuster einrastet und uns von selbst positive Sätze einredet. […]
Mögliche positive Reaktionsmuster
Man könnte erst einmal ruhig durchatmen und den Drang, gleich ein Urteil parat zu haben, im Atmen loslassen, um dann die Sache klarer und mit der Distanz dieser paar Sekunden sehen zu können.
Oder man könnte sich angewöhnen, über jeden, der mich aufregt, ein kurzes Segenswort zu sprechen: „Herr, segne ihn“ oder für ihn zu danken: „Danke, Herr, er meint es gut. Danke, dass es ihn gibt.“
Solche Reaktionen kann man nicht im Einzelfall mit dem Willen steuern. Man muss sie einüben. Das braucht Zeit und am Anfang auch Energie. Man muss sich immer wieder kontrollieren. Aber sobald es eine gute Gewohnheit geworden ist, mit einem Gebetswort zu reagieren, kostet es keine Kraft mehr. Wir haben einen Reflex bewusst gesteuert und durch einen positiven ersetzt, der uns nun auch von selbst begleitet, wie es zuvor der negative getan hat. […]
Bibelworte als positive Einreden
(Der heilige, Anm. d. Red.) Benedikt versteht die Schriftworte (der Bibel, Anm. d. Red.) als Einreden wohl in dem Sinn, dass man sie sich immer wieder vorsagt, dass man schon morgens mit einem Vers beginnt und ihn tagsüber oft wiederholt. Ein solches Wort wird dann zum Grundwort, mit dem man umgeht, aus dem man lebt.
[…] Man verbindet dieses Wort mit ganz gewöhnlichen Tätigkeiten. Man sagt es sich etwa vor, wenn man auf dem Weg zur Arbeit ist oder von der Arbeit kommt, wenn man das Haus betritt, wenn die Glocken in der benachbarten Kirche läuten oder beim Stundenschlag, wie das in unserem Kloster üblich ist. Diese Zeiten bzw. Augenblicke, die immer wiederkehren, plant man bewusst. Man verbindet sie automatisch mit einem Wort, so dass man die Gewähr hat, das Wort trifft mich wenigstens einige Male am Tage.
Diese bewusste Einübung führt dann dazu, dass man auf gewisse Situationen des Alltags mit der positiven Einrede reagiert. Die negativen Einreden trägt man normalerweise auch nicht den ganzen Tag mit sich. Sie kommen in einem nur hoch, wenn man in bestimmte Situationen gerät, wenn man einen Fehler macht, wenn man eine schwere Arbeit anfängt, wenn man geärgert wird. Hat man die positiven Einreden geübt, wird man mit ihnen auf alles reagieren, was einem begegnet. Dann werde ich mir bei einem Versagen nicht gleich Vorwürfe machen oder mir vorsagen: „Ich bin ein Versager“, sondern vielleicht kommt mir dann der Vers: „Wirf deine Sorgen auf den Herrn, er hält dich aufrecht“ oder „Gut ist es, dass du mich gebeugt hast, damit ich deine Gesetze lerne“.
Mitten in den unvorhergesehenen Situationen zeigt sich, was ich eingeübt habe. Der eine schrickt vor einer komplizierten Arbeit zurück, indem er sich seine Masche vorsagt: „Das kann ich nicht“, der andere reagiert instinktiv mit seinem Sprichwort „Wie’s kommt, wird’s g’fressen“ oder eben mit einem Gebetswort: „Herr, du kannst alles, hilf mir“ oder mit dem Psalmvers: „Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ Die positive Einrede prägt meine Reaktionen auf die Ereignisse des Alltags.
Pater Anselm Grün
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen aus: ders.: Einreden – Der Umgang mit den Gedanken, Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach, 2009, www.vier-tuerme-verlag.de
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Text: Pater Anselm GrünIn: Pfarrbriefservice.de