„Organspende ist eine sehr persönliche Entscheidung“

Moraltheologe Stephan Ernst fordert Transparenz, mehr Information und vor allem einen Entschluss

Herr Professor Ernst, wie haben Sie für sich das Thema Organspende entschieden?

Professor Ernst: Ich stehe dem Thema Organspende durchaus mit etwas gemischten Gefühlen gegenüber. Einerseits ist es klar, dass die Organtransplantation eine großartige Möglichkeit darstellt, Menschen das Leben zu retten bzw. ihren erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen Linderung zu verschaffen. Solidarität und Nächstenliebe legen es nahe, auch dafür zu sorgen, dass man gegebenenfalls mit den eigenen Organen anderen noch helfen kann. Andererseits verstehe ich auch Bedenken und das Unbehagen, das Menschen abhält, vorbehaltlos zuzustimmen. Ich halte es für eine sehr persönliche Entscheidung, die mit den eigenen Wertüberzeugungen, der eigenen Weltsicht, aber auch mit dem Verhältnis zum eigenen Körper zusammenhängt und individuelle biographische Wurzeln und Gründe hat, die man von außen nicht bewerten kann. Auf jeden Fall sollte man sich der Frage, ob man Organspender sein will, nicht leichtfertig entziehen oder das Thema verdrängen, sondern zu einer Entscheidung finden.

Ist es die Pflicht eines Christen, seine Organe zu spenden?

Professor Ernst: In der Sicht der Kirchen ist es ein besonderer Ausdruck der Nächstenliebe, wenn Menschen bereit sind, anderen ihre Organe zu spenden. Aus ethischer Sicht ist das eine Möglichkeit, anderen Menschen, deren Leben bedroht ist und die sich in einer Notsituation befinden, zu helfen. Andererseits sollte die Organspende – wie der Name „Spende“ ja auch sagt – freiwillig bleiben. Auch dies betonen die Kirchen. Es gibt kein Recht auf die Organe eines anderen. Entsprechend gibt es auch im strengen Sinne keine Pflicht zur Organspende. Wenn jemand das nicht möchte oder sich noch nicht entscheiden kann, kann man das nicht für moralisch verwerflich erklären. Menschen können ihre Gründe dafür haben. Wichtiger wäre es, viel dafür zu tun, dass diejenigen, die zur Organspende bereit sind – und das sind in Deutschland über 80 Prozent –, auch tatsächlich einen Ausweis ausfüllen oder ihre Bereitschaft ausdrücklich erklären.

In Deutschland dürfen erst Organe entnommen werden, wenn der Hirntod festgestellt ist. Doch das Hirntodkonzept ist umstritten. Sind Hirntote für Sie Tote oder Lebende, die sterben?

Professor Ernst: In Deutschland gilt die Regelung, dass erst nach Eintritt des Gesamthirntods, also wenn nicht nur das Großhirn, sondern auch das Klein- und das Stammhirn abgestorben sind, Organe entnommen werden dürfen. Diese Sicht wird auch von den christlichen Kirchen geteilt. Dahinter steht die Auffassung, dass nicht nur die Bewusstseinsleistungen, die ans Großhirn gebunden sind, endgültig und unumkehrbar ausgefallen sein müssen, sondern auch die dem Klein- und Stammhirn zukommenden Leistungen, die die biologischen Funktionen des Organismus im Ganzen bewirken. In einem solchen Zustand des Gesamthirntods tritt – wenn diese Funktionen nicht künstlich durch Intensivmedizin ersetzt werden, um die Organe für eine Transplantation zu erhalten – auch unweigerlich sofort der Herztod ein. Der Organismus allein jedenfalls kann diese Leistung von sich aus nicht mehr erbringen. Man kann deshalb sagen, dass mit dem Hirntod das Eintreten des Todes begonnen hat.

Eine Minderheit des Deutschen Ethikrates war 2015 der Ansicht, dass der Hirntod kein Kriterium für den Tod des Menschen ist.

Professor Ernst: Gegen das Hirntodkriterium ist immer wieder eingewendet worden, dass intensivmedizinisch am Leben erhaltene hirntote Menschen immer noch wie lebende Menschen aussehen, Reflexe zeigen, Stoffwechsel haben und dass in besonderen Fällen sogar noch eine Schwangerschaft zu Ende geführt werden kann. Auch gibt es immer noch Bereiche des Organismus, die von sich her ein Funktionsganzes bilden. Andererseits ist – wie gesagt – die Gesamtintegration aller körperlichen Funktionen nicht mehr eigenständig möglich, und auch Bewusstseinsleistungen – und damit auch Schmerzempfindungen – sind definitiv nicht mehr möglich. Dennoch haben viele Menschen ein Unbehagen, dass sie eben auch dann, wenn der Hirntod diagnostiziert ist, nicht wirklich tot sind, und entsprechend Vorbehalte, ihre Organe für eine Transplantation frei zu geben. Solche Bedenken sollte man auf jeden Fall ernst nehmen und nicht leichtfertig übergehen. Es ist auch ein Grund, warum die Organspende freiwillig und mit ausdrücklicher Zustimmung erfolgen sollte. Die Spendebereitschaft lässt sich am ehesten dadurch erhöhen, dass man gut informiert, über Bedenken spricht und die Prozesse und Bedingungen, unter denen die Organtransplantation geschieht, möglichst durchsichtig macht.

Manche Angehörige machen sich im Nachhinein Vorwürfe, dass sie ihre Lieben nach Feststellung des Hirntodes für eine Organspende freigegeben haben. Sie sagen, sie wären erst auf dem Operationstisch gestorben. Was sagen Sie ihnen?

Professor Ernst: Die Begleitung von Angehörigen ist sicher eine große Herausforderung an Ärzte und Pflegepersonal. Wenn eine Transplantation durchgeführt wird, gibt es ja nicht die Möglichkeit, das Sterben eines Angehörigen bis zum Eintritt des Todes kontinuierlich zu begleiten und dabei zu sein und so auch Abschied zu nehmen. Wichtig wäre auch hier, dass die Angehörigen gut informiert und vorbereitet werden, was eine Organentnahme bedeutet, wie sie konkret abläuft und was das für die Angehörigen bedeutet. Dies gilt vor allem auch dann, wenn von Seiten des hirntoten Patienten keine Äußerung zur Frage der Organspende vorliegt und nun die Angehörigen selbst gefragt werden, ob sie zustimmen.

Was raten Sie Menschen, die noch keine Entscheidung getroffen haben, dieses aber angehen möchten? Wie können sie sich umfassend und neutral informieren?

Professor Ernst: Die naheliegende und einfachste Möglichkeit ist sicher, sich mit seinem Hausarzt zu besprechen. Der Hausarzt wird – auch wenn er selbst vielleicht nicht die Zeit für eine ausführliche Beratung hat – einem sicher konkrete Informationsmöglichkeiten nennen können. Wichtig wäre es auch, sich mit Vertrauten und Angehörigen über diese Frage auszutauschen oder beim Erstellen einer Patientenverfügung die Frage einer möglichen Organentnahme mit zu berücksichtigen. Ich habe aber den Eindruck, dass etwa in den Medien oder auch im Bereich der Erwachsenenbildung das Thema Organspende etwas vernachlässigt ist. Im Blick auf die Patientenverfügung gab und gibt es zahlreiche Informations- und Beratungsangebote, z.B. auch im Erwachsenenbildungsbereich oder auch in Gemeinden. Entsprechendes könnte und sollte auch für dieses Thema gefördert werden. Jetzt, wo die gesetzliche Regelung der Organspende in der Diskussion ist, bietet es sich an und wäre notwendig.

Die Fragen stellte Elfriede Klauer, Pfarrbriefservice.de.

Zur Person

Prof. Dr. Stephan Ernst (geb. 1956) ist Inhaber des Lehrstuhls für „Theologische Ethik – Moraltheologie“ an der Universität Würzburg. Er engagiert sich u.a. als Mitglied der Akademie für Ethik in der Medizin e. V. und in den Klinischen Ethik-Komitees des Krankenhauses St. Josef, Schweinfurt, und der Uni-Kliniken Würzburg. Von 2011 bis 2016 war er Berater der Unterkommission „Bioethik“ der Glaubenskommission (I) der Deutschen Bischofskonferenz.

Hinweis: Ein Bild von Prof. Stephan Ernst finden Sie hier.

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Text: Pfarrbriefservice.de
In: Pfarrbriefservice.de