Regenbogenmacher mit Gottvertrauen

Pater Dominik Wernicke kümmert sich um Menschen, die HIV-positiv sind

Das Engagement der Kirche für HIV-Infizierte und Aids-Kranke ist für Pater Dominik Wernicke eine Frage der Glaubwürdigkeit. Schließlich habe auch Jesus niemanden ausgegrenzt, erklärt der Aids-Seelsorger. In der Diözese Würzburg ist er für rund 800 Menschen zuständig. Deren Konfession spielt für ihn keine Rolle: „Es geht allein um die Betroffenen.“

Augustinerpater Dominik Wernicke befindet sich in einer Zwickmühle. Es gib so vieles, wovon er erzählen könnte – von Krankheit und Tod, aber auch von Hoffnung und Leben. Doch gleichzeitig sind das Geschichten, die er lieber verschweigen möchte – zum Schutz für die Betroffenen. Der 48-Jährige sitzt aufrecht auf einem Stuhl in seinem kleinen Zimmer im Würzburger Augustinerkloster. Er blickt seinem Gegenüber geradewegs in die Augen. „Das ist immer schwierig für mich“, erklärt er. „Ich möchte konkret über meine Arbeit als Aids-Seelsorger berichten, muss aber diskret bleiben.“

Wernicke grübelt, die ohnehin schon tiefen Falten scheinen sich noch weiter in seine Stirn zu graben. Dann lächelt er und beginnt zu erzählen. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Es ist die Geschichte von Thomas, der in Wirklichkeit nicht Thomas hieß. Wahrscheinlich verlief auch sein Leben etwas anders, als der Ordensmann es darstellt. Wichtig ist aber, dass es genauso hätte sein können.

Thomas war ein junger Mann, der eigentlich nur eines wollte: Er wollte geliebt werden. Vor allem von seiner Mutter. Aber die hatte selbst Probleme. Seit ihrer Heirat lebte sie in den USA, wo ihre Beziehung in die Brüche ging. Was an Zeit und Aufmerksamkeit für Thomas blieb, genügte dem Jungen nicht. Er war unglücklich, geriet ins Drogenmilieu, wurde erwischt und nach Deutschland abgeschoben. Anfangs ging es ihm dort gut. Trotzdem nahm er wieder Drogen und infizierte sich dann auch noch an einer Spritze mit dem HI-Virus.

In dieser Situation lernte er in Würzburg Pater Dominik kennen. Die beiden haben miteinander gesprochen, der Seelsorger hörte zu, nahm sich Zeit. Er half, wo er konnte. Vorwürfe machte er dem jungen Mann nie. „Wir haben schließlich alle unsere Fehler“, stellt Wernicke fest. Und als einziger Aids-Seelsorger der Diözese weiß er: „Es gibt Lebensgeschichten, bei denen man nicht von Schuld sprechen kann. Diese Menschen hatten keine Chance.“

Der Seelsorger möchte ihnen eine geben – eine Chance auf ein gutes Leben. Dabei ist er nicht alleine. Gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer Caritas-Beratungsstelle und einer Wohngemeinschaft ist er zuständig für die rund 800 HIV-Infizierten und Aids-Kranken im Bistum Würzburg – mit rund 120 hat er näher zu tun. Er spricht mit ihnen. Er nimmt teil am monatlichen Stammtisch. Dort ist er für die kleine Meditation am Anfang, die so genannte Regenbogenfeier, zuständig. Er bereitet den Weltaids-Tag vor. Und einmal pro Woche verbringt er einige Stunden in der Caritas-Wohngemeinschaft, wo Aids-Kranke – unterstützt von Sozialpädagogen – leben. Beim gemeinsamen Kochen und Essen bleibt genug Zeit für Gespräche.

Thomas besucht er nicht mehr. Der ist im vergangenen Jahr gestorben, obwohl die Lebenserwartung Aids-Kranker dank neuer Medikamente in den vergangenen Jahren massiv gestiegen ist. „Bis zuletzt hat er nach Liebe gesucht“, berichtet Wernicke. So habe man in der Wohnung des jungen Mannes die Urnen seiner Mutter und der Großmutter gefunden. „Im Brotkasten“, fügt der Mann mit der roten Aids-Schleife am Hemd hinzu. Das Zeichen der Solidarität mit aidskranken Menschen trägt Wernicke meistens. Zumindest, seit er sich vor etwa fünf Jahren für das Engagement in der Aids-Seelsorge entschied. Erst nebenbei, seit April 1999 mit einer Teilzeitstelle. Außerdem ist er Mitarbeiter des Gesprächsladens, Beichtseelsorger und geistlicher Begleiter. Ein viel beschäftigter Mann, der bis vor kurzem auch noch in der Provinzleitung seines Ordens tätig war. Seit er diese Aufgabe abgegeben hat, nutzt er die Zeit für Besuche im Fitness-Center. Das gibt körperliche Kraft für seine vielen Jobs.

Geistige Kraft schöpft er aus seinem Glauben und seinem großen Gottvertrauen. „Ich tue, was mir möglich ist“, sagt er. „Den Rest überlasse ich Gott.“ Immer wieder schicke er kurze Gebete zum Himmel. „Manchmal bin ich wie Don Camillo“, schmunzelt er, und das verschmitzte Grinsen erinnert tatsächlich ein wenig an den kleinen italienischen Priester aus alten Schwarzweiß-Filmen. Dann wird Pater Dominik wieder ernst: „Jesus hätte keinen ausgegrenzt“, stellt er fest. „Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob Kirche sich im Bereich der Aids-Seelsorge engagiert.“ Dabei sei er sich stets bewusst, dass der Anspruch und die offizielle Haltung der katholischen Kirche nicht unbedingt mit der Lebensweise seiner Schützlinge übereinstimmen.

Denn immer wieder träfe es die so genannten Randgruppen, immer wieder würden sich Prostituierte oder Drogenabhängige mit dem Virus infizieren. Vorbehalte hat Wernicke dennoch nicht: „Es gibt viele unter ihnen, die ich sehr gerne mag, das sind ganz liebenswürdige und wertvolle Menschen.“

Der Aids-Seelsorger hat im Laufe der Zeit auch seine Angst vor Ansteckung abgelegt. Anfangs habe er Bedenken gehabt, als während der Gottesdienste der Kelch im Kreis weitergereicht wurde. Dann überlegte er, ob er Zahnfleischbluten habe oder ähnliches. Mittlerweile spielen solche Gedanken keine Rolle mehr.

Martina Schäfer, veröffentlicht im „Würzburger katholisches Sonntagsblatt“ Nr. 40, 5. Oktober 2003

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Text: Martina Schäfer
In: Pfarrbriefservice.de