Selbstverständlich dazugehören

Dorothea Strauß ist evangelische Pfarrerin und Initiatorin der ökumenischen Aids-Initiative „KIRCHE positHIV“. Ihr Engagement und ihr Anliegen beschreibt sie in einem Interview:

Frage: Sie engagieren sich für „KIRCHE positHIV“. Wie sieht dieses Engagement aus?

Dorothea Strauß: Ich leite die Ökumenische AIDS-Initiative KIRCHE positHIV, eine Profilgemeinde, die sich um das Thema HIV und AIDS herum gebildet hat. Dabei werde ich unterstützt durch den Franziskaner Pater Clemens Wagner ofm und einen Kreis von Ehrenamtlichen unterschiedlicher Konfession. Wir begleiten Infizierte, Kranke, deren Angehörige und Freund-innen als Selsorger/-in. Dazu gehören auch Sterbebegleitung und die Gestaltung von Trauerfeiern. Mittelpunkt ist die Feier eines monatlichen Gottesdienstes und die geteilte Spiritualität im Bibelkreis, bei der Vesper mit den Schwestern im Karmel, im Gebet des Christusrosenkranzes, bei der Feier einer meditativen „Feierabendmesse“ und bei Einkehrtagen und Spirituellen Reisen. Daneben gibt es gemeinsame Freizeitaktivitäten: regelmäßiger Stammtisch, Ausflüge, Grillfest, Adventsabend und Anderes. Ein Verein unterhält und pflegt eine denkmalgeschützte Gemeinschaftsgrabstelle.

Frage: Sie umschreiben Ihren Einsatz für HIV-infizierte Menschen als Arbeit im Spannungsfeld zwischen Kirche und Aids. Welche Erfahrungen machen Sie in diesem Spannungsfeld?

Dorothea Strauß: Berührungsängste gibt es auf beiden Seiten. Für viele Gemeinden ist das Thema „HIV und AIDS“ weit weg. Ich kenne Gemeinden, die sich für afrikanische Partnergemeinden und deren AIDS-Projekte einsetzen, während engagierte Gemeindeglieder, die mit dem HI-Virus infiziert sind, sich nicht trauen, in der gleichen Gemeinde offen damit umzugehen. Andererseits gibt es auch bei den Menschen, die mit HIV und AIDS leben, oft Berührungsängste den Kirchen gegenüber, weil sie sich mit ihrem Lebensstil dort nicht oder nicht mehr wiederfinden. Ich kenne viele, die sich früher in einer unserer Kirchen zuhause gefühlt haben, sich aber nach verletzenden Erfahrungen ganz zurückgezogen haben und sich auch bei uns nicht wieder heimisch fühlen können, weil wir eine kirchliche Initiative sind. Dies erlebe ich immer als besonders schmerzlich.
Bewusstseins- und Öffentlichkeitsarbeit in diesem Spannungsfeld zwischen Kirchen und AIDS und die Präsenz als Kirche in der AIDS-Szene sind uns deshalb wichtig.

Frage: Sie arbeiten als Brückenbauerin. Auf welche Vorbehalte treffen Sie bei von HIV nichtbetroffenen Menschen?

Dorothea Strauß: Leider genügt erfahrungsgemäß der oftmals geäußerte gute Wille zur Offenheit allein noch nicht. Häufig ist über das, was Leben mit HIV oder AIDS bedeutet, zu wenig wirklich bekannt. Nicht selten bestehen aber offene oder verdeckte Ängste vor Ansteckung – trotz Aufklärung. Oder vor der Andersartigkeit der Lebensstile.

Frage: Auf der Homepage www.kirche-posithiv.de schreiben Sie, Sie hätten gelernt, dass Kirche auch Schwulen und Aidskranken etwas bieten kann. Was meinen Sie damit?

Dorothea Strauß: Es geht mir um Selbstverständlichkeit und Akzeptanz. Wenn die Kirchen auch Schwule, Lesben und Menschen mit HIV und AIDS selbstverständlich willkommen heißt, können sie sich mit ihren Fähigkeiten und Gaben einbringen, wie andere Gemeindemitglieder auch. Davon leben wir schließlich als Gemeinden. Zu unseren Gottesdiensten kommen viele Positive und Schwule oder Lesben, aber auch andere, die sich von unseren Zielen und von unserem Stil angesprochen fühlen. Es geht uns darum, dass HIV/AIDS, aber auch unterschiedliche Lebensstile ganz selbstverständlich einen Platz in unseren Gottesdiensten und Veranstaltungen haben, aber nicht darum, dies ständig explizit zum Thema zu machen. Menschen mit HIV/AIDS möchten sich mit ihrem Lebenshintergrund angesprochen fühlen und sich wiederfinden können: „Hier muss ich nichts erklären oder verstecken oder rechtfertigen“.

Frage: „Die Kirche hat Aids“. Diese Aussage von Ihnen will deutlich machen, dass …

Dorothea Strauß: „Der Körper des Menschen ist einer und besteht doch aus vielen Teilen. Aber all die vielen Teilen gehören zusammen und bilden einen unteilbaren Organismus. So ist es auch mit Christus: mit der Gemeinde, die sein Leib ist“, schreibt Paulus im ersten Korintherbrief. Dieser Text von dem einen Leib und den vielen Gliedern hat KIRCHE positHIV von Anfang an begleitet. Paulus zeichnet darin so plastisch sein Bild von Kirche, und wir konnten mit diesem Bild so gut unser Anliegen verdeutlichen: Wenn ein getauftes Glied dieses Leibes mit dem HI-Virus infiziert ist, so ist logischerweise der ganze Leib HIV-positiv, und wenn ein getauftes Glied AIDS hat, hat die Kirche AIDS. Und so haben wir das Motto: „Die Kirche hat AIDS“ zu unserem gemacht, als Überschrift über unsere Informationsstände auf Gemeinde- und Stadtteilfesten, auf Kirchen- und Katholikentagen, und wir sind damit bekannt geworden.

Frage: Welches Verhalten von christlichen Gemeinden HIV-infizierten Menschen gegenüber würden Sie sich wünschen?

Dorothea Strauß: Als kirchliche AIDS-Initiative betrachten wir es als eine unserer Hauptaufgaben, etwas dazu beizutragen, dass gerade in den Kirchen Menschen mit HIV und AIDS geschwisterlich leben können. Wir erfahren immer wieder, dass aidskranke Christinnen und Christen sich äußerlich oder innerlich von ihren Gemeinden zurückziehen aus Angst vor Ablehnung oder auch vor übertriebener „Hilfe“. Sie möchten auch nicht in die Rolle der „Exoten“ kommen, sondern suchen selbstverständliche Gemeinschaft in Nähe und Distanz, wie andere Gemeindeglieder auch. AIDS gibt es eben nicht nur ganz weit weg in Afrika, und Menschen mit AIDS sind keine armen bedauernswerten Geschöpfe, um die wir uns als Kirche „kümmern“ müssten, sondern gleichwertige, ernstzunehmende Glieder des einen Leibes, genauso wert geachtet, genauso edel oder unedel wie die anderen. Und wir können nicht zu ihnen sagen: „Wir brauchen dich nicht“, sondern wir sind auch auf sie angewiesen.

Die Fragen stellte Elfriede Klauer, www.pfarrbriefservice.de
Weitere Informationen zur ökumenischen Aids-Initiative unter www.kirche-posithiv.de.

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Das Schwerpunktthema für Dezember 2010

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Text: Elfriede Klauer
In: Pfarrbriefservice.de