So viel Glück

Eine Geschichte (nicht nur) für Kinder

„Was ist eigentlich Glück?“ Salomon blickte seinen kleinen Freund, den Vogel Blau an. „Was ist Glück?“ Er stellte sich die Frage ganz leise selbst.

Eine Zeitlang gingen die beiden Freunde schweigend nebeneinander her. Salomon, der Elefant, schnaufte mit seinem Rüssel. Es war ein heißer Tag.
„Ein See oder ein Schwimmbad. Das wäre Glück“, sagte er plötzlich. „Dann könnte ich meinen Rüssel in das Wasser tauchen und mich nass machen. Das wäre jetzt mein größtes Glück!“
Der kleine Vogel Blau blickte seinen Freund skeptisch an.
„Ich weiß nicht, ob das für mich auch Glück wäre. Wahrscheinlich würde ich ertrinken, wenn du einen ganzen Rüssel Wasser über dich spritzen würdest.“
Der Elefant lachte.
„Ich würde doch aufpassen, dass dir nichts passiert. Und außerdem: Du kannst doch wegfliegen.“
Der kleine Vogel lachte auch. „Ja sicher. Ich könnte wegfliegen.“

Er dachte nach. Dann meinte er: „Ich glaube, das ist Glück für mich: Ich kann jederzeit wegfliegen. Einfach so. Wenn eine Gefahr droht. Wenn ich mich über etwas ärgere. Wenn die Hindernisse zu groß sind.“
„Ja, das ist für dich wohl wirklich Glück“, sagte Salomon. „Und ich kann viele Hindernisse überwinden, weil ich so groß bin. Einfach drüber weglau-fen.“

„Glück ist, dass wir uns getroffen haben und Freunde geworden sind, dass wir gesund sind, und uns jeden Tag über die Sonne und auch den Regen freuen, dass wir nachts immer einen Platz zum Schlafen finden, dass wir jeden Tag genug zu essen und zu trinken haben.“
„Stopp, stopp“, rief da Salomon. „So viel Glück. Aber ich glaube, das ist nicht für alle das Glück.“
„Was meinst du damit?“ fragte Blau.
„Nun, erinnerst du dich an die Menschen, die wir manchmal treffen?“
Der kleine Vogel legte seinen Kopf nachdenklich zur Seite. Blau blickte in die Ferne, wo ein großes Plakat an einer Wand hing. Etwas stand darauf geschrieben. Aber er konnte nicht erkennen, was.

Langsam kamen die Erinnerungen. Vor langer Zeit hatten sie einen Men-schen getroffen, der ihnen griesgrämig entgegen kam und dauernd gegen etwas trat, das ihm im Weg stand.
Schüchtern hatte der kleine Blau gefragt: „Was ist denn mit dir los?“
Der Mensch hatte wütend geantwortet: „Ich hätte viel mehr gewinnen müssen. Verdammt.“
Erschrocken blickte der kleine Vogel den Menschen an.
Der erzählte, dass er bei einem Quiz mit gemacht hatte, bei dem er eine Million Euro hätte gewinnen können. „Aber ich hatte kein Glück“, schimpf-te er.
„Warum nicht?“ fragte Salomon, der seinem Freund gefolgt war.
„Ich habe nur 200.000 Euro gewonnen. Nur weil ich diese eine blöde Fra-ge nicht gewusst habe.“ Wütend trat er gegen einen Mülleimer.
„Du hattest kein Glück? Kein Glück?“, fragte mit großen Augen der kleine Blau.
„Kein Glück?“, fragte auch Salomon, der Elefant.
Der Mensch blieb abrupt stehen und blickte die beiden an.
Der kleine Blau und der große Salomon gingen kopfschüttelnd weiter.

„Das war eine seltsame Begegnung, nicht wahr?“ meinte Salomon.
„Oh ja - sehr seltsam“, bestätigte Blau. „Die Menschen sind schon ko-misch, wenn es um das Glück geht. Sie wollen nur das große Glück. Einen großen Gewinn, ein großes Haus, eine große Reise. Und lassen das kleine Glück unbeachtet am Straßenrand liegen.“
Salomon, der Elefant, und Blau, der Vogel, blickten sich fröhlich an – und gingen weiter.

Theresia Bongarth, In: Pfarrbriefservice

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Das Schwerpunktthema für Dezember 2016 und Januar 2017

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Text: Theresia Bongarth
In: Pfarrbriefservice.de