Von Träumen, die wirklicher sind als die Realität

Gedanken zur Hoffnung als Grundmelodie für das Leben

Von der Hoffnung sagt der Dichter und Philosoph Friedrich Schiller: „Sie wird mit dem Greis nicht begraben, denn beschließt er im Grabe den müden Lauf, noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf.“ Hoffnung ist also für ihn kein Wahngebäude in unserem Gehirn. Für ihn und für alle, denen er hier aus dem Herzen spricht, wird das Hören auf die innere Stimme zu einer inneren Gewissheit. Hoffnung ist also gewissermaßen die Grundmelodie, die uns Menschen im Leben begleitet, von der Geburt bis zum Tod, mehr oder weniger intensiv, mal lauter, mal leiser, kräftiger oder schwächer hörbar, sichtbar, fühlbar. Dort, wo wir sie nicht mehr hören wollen oder können, weil wir uns von ihr abgewandt haben, weil wir von anderen Melodien übertönt und abgelenkt werden, wo wir taub gemacht werden, überall dort brauchen wir Menschen, die bereit sind, uns einen Raum der Stille und des Zuhörens zu geben. Bildhaft gesprochen können wir dann versuchen, in diesem Hörraum der Stille uns diese Melodie der Hoffnung wieder gegenseitig vorzusingen. Das ist manchmal sehr schwierig, sehr anstrengend, ist aber dort, wo es gelingt, immer mit einem unglaublichen Glücksgefühl verbunden. 

Nach etwas greifen, was noch nicht ist

Jedes Lebewesen ist in seinem Willen stets auf etwas hin angelegt und greift ähnlich einer Pflanze mit ihrer Ranke nach etwas, was noch nicht da ist und sich noch erfüllen muss. Am Anfang steht bildlich gesprochen die Raupe, am Ende einer längeren Verpuppungszeit bildet sich ein wunderschöner Schmetterling heraus. Ähnlich ist es mit der Hoffnung. Der Sinn unseres Lebens erschließt sich letztlich in der Zukunft. Ein Mensch, der nach dem Sinn seines Lebens sucht, hat meistens so eine Art Vorstellung, ein vorläufiges Bild, eine ungefähre Kontur, eine Ahnung, aber er besitzt noch keine Gewissheit, keine letzte Klarheit. Sie liegt vor ihm, in seiner Zukunft. 

Wir können die Situation vergleichen mit jemandem, der auf der Rückseite eines geknüpften Teppichs steht; er sieht nur ein Gewirr von Fäden und Knoten, mehr oder weniger noch ein Chaos. Er kann sich nur ungefähr denken, was das Ganze darstellen könnte, eine Gewissheit hat er nicht. Es bleiben ihm viele Fragen und viele Zweifel. Wenn derjenige aber eines Tages die Gelegenheit hat, auch die Vorderseite dieses Teppichs anschauen zu dürfen, so erkennt er plötzlich das Ganze, er sieht Bilder, Muster, alles gibt plötzlich für ihn „einen Sinn“, seine Vorstellung, seine Hoffnung ist „angekommen“. Deshalb ist Hoffnung für den Philosophen Ernst Bloch „das Verliebtsein ins Gelingen.“ Auch ein Sprichwort aus Ungarn sagt uns zustimmend: „Hoffnung ist eine Flamme, die zwar ständig flackert, aber nie erlischt.“

Christliche Hoffnung als radikalste Alternative zum Zustand dieser Welt

Der Theologe Jürgen Moltmann nennt die christliche Hoffnung, die sich am Anfang im Osterglauben und am Ende in der Wiederkunft Christi begründet, „die radikalste Alternative zum Zustand dieser Welt“, die eben nicht auf eine Höllenfahrt, sondern auf eine Himmelfahrt hin ausgerichtet ist. Wenn wir am Zustand der Welt leiden, wenn wir uns vor ihrer Dunkelheit fürchten, so ist die christliche Hoffnung gewissermaßen wie eine riesige Flamme mit einer unvorstellbaren Leuchtkraft, so dass bereits der kleinste „Funke unserer christlichen Hoffnung“ unseren Weg erleuchten kann. Nicht von uns selber kommt die Hoffnung auf Erfüllung, sondern von Gott selbst. Und wenn uns auch manche Hoffnung heute wie ein Traum vorkommt, so soll zum Schluss ein Satz in ganz besonderer Weise betont werden, den Eugen Drewermann einmal sehr leidenschaftlich formuliert hat. Er sagte: Das „Menschsein besteht darin, Träume zu haben, die viel wirklicher sind, als die verdammte Wirklichkeit ... Nur deshalb ist Religion ein Ort von Hoffnung...“

Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe, In: Pfarrbriefservice.de

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Stanislaus Klemm, Diplompsychologe und Theologe

Stanislaus Klemm, Jahrgang 1943, ist Diplompsychologe und Theologe. Er arbeitete in der Suchttherapie, in der ökumenischen Telefonseelsorge Saar sowie in der Lebensberatung des Bistums Trier in Neunkirchen. Er ist Autor verschiedener Bücher. 

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Text: Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe
In: Pfarrbriefservice.de