Wahrheit befreit

Eine Möglichkeit, mit belastenden Gedanken umzugehen

„P. sollte freundlicher zu mir sein“ – dieser Gedanke über einen Mitbruder trieb mich vor Jahren ziemlich um. „Er wechselt kaum ein Wort mit mir, schaut mich gar nicht richtig an und reagiert mürrisch auf das, was ich sage. Andere behandelt er nicht so!“ Ich regte mich ziemlich über meinen Mitbruder auf – bis ich (angeregt durch Lektüre*) meine Gedanken etwas näher unter die Lupe nahm und ein inneres Selbstgespräch führte – so ähnlich wie das folgende:

„P. sollte freundlicher zu mir sein!" – „Ist das wirklich wahr?" – „Ja!" – „Und wie sieht die Wirklichkeit aus?" – „Er ist unfreundlich zu mir." – „Das ist die Realität. Wenn du das bedenkst, kannst du absolut sicher sein, dass P. freundlicher zu dir sein sollte?" – „Nein, eigentlich nicht." – „Bleibe bei diesem «Nein» und lass es auf dich wirken... Wie reagierst du, wenn du meinst, dass P. freundlicher zu dir sein sollte, und er ist unfreundlich zu dir?" – „Ich bin verärgert, verletzt und traurig." – „Und wie behandelst du P. dann?" – „Ich gehe ihm aus dem Weg und rede kaum noch mit ihm... und wenn ich mit ihm rede, bin ich schnell gereizt." – „Was für ein Mensch wärst du, wenn du deinen Gedanken nicht für wahr hieltest?" – „Ich wäre ruhiger, zufriedener, glücklicher."

„P. selbst scheint also gar nicht das Problem zu sein, sondern dein Gedanke über P. Dieser Gedanke lässt dich leiden, denn er lässt dich gegen die Wirklichkeit anrennen wie gegen eine Wand, und die einzige Veränderung, die du dadurch erreichst, ist, dass du dir selbst dabei weh tust. Spiel mal mit deinem Gedanken, indem du ihn umdrehst. Was könnte dabei herauskommen?" – „Ich sollte freundlicher zu P. sein?!" – „Betrachte den Gedanken von allen Seiten! Könnte da was dran sein?" – „Ja... schon..." – „Fallen dir noch andere Möglichkeiten ein, deinen Gedanken umzudrehen?" – „Ich sollte freundlicher zu mir selbst sein... Stimmt." – „Denn letztendlich kann kein anderer Mensch dich glücklich machen. Nur du selbst. Und was ist mit dem exakten Gegenteil deines ursprünglichen Gedankens?" – „P. sollte nicht freundlicher zu mir sein... Echt jetzt?!" – „Indem P. einfach so ist, wie er ist, gibt er dir Gelegenheit, deine Gedanken zu hinterfragen und Neues zu lernen"...

Als ich meinen Gedanken in einem inneren Dialog mit mir selbst bearbeitete, verblasste er allmählich und kehrte immer seltener wieder. Andere Gedanken traten an seine Stelle, die mir mehr Frieden gaben. Ich verhielt mich spontan anders, wenn ich meinem Mitbruder begegnete, und irgendwann hielt ich inne, weil ich merkte: „Mensch, heute ist P. mal richtig freundlich zu mir gewesen!"

Indem ich meine Gedanken anschaue als das, was sie sind – nämlich Gedanken, und indem ich sie hinterfrage und sie spielerisch umkehre, kann ich die Wirklichkeit besser annehmen. Auch meinen Mitbruder und mich selbst, so wie wir sind. Ich lebe mehr in der Realität und weniger in meinen Gedanken über die Realität. Ich erlebe, was es bedeutet, dass Wahrheit befreit (vgl. Joh 8,32).

Was hilft Ihnen, mit Ihren Gedanken umzugehen? Ich wünsche Ihnen, dass Sie eigene Wege finden, um Ihrer Wahrheit auf die Spur zu kommen und innerlich freier zu werden!

Ihr Jan Korditschke SJ
Quelle: Jesuiten.org: Newsletter – Ignatianische Nachbarschaftshilfe, In: Pfarrbriefservice.de

*Byron Katie, Lieben was ist: Wie vier Fragen Ihr Leben verändern können, München 2002.

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Text: Jan Korditschke SJ, Quelle: Jesuiten.org: Newsletter – Ignatianische Nachbarschaftshilfe
In: Pfarrbriefservice.de