Warum "Ora et labora" allen Menschen nützt

Abt Friedhelm Tissen OSB über die Bedeutung von Arbeit und Ruhe für die Würde des Menschen

"Müßiggang ist der Seele Feind." So beginnt das 48. Kapitel der Regel des heiligen Benedikt von Nursia (+547). Ist er somit einer, der seine Mönche zu harter Arbeit antreibt, damit es dem Kloster wohl ergeht? Die Überschrift des Kapitels gibt eine andere Antwort: "Die Ordnung für Handarbeit und Lesung". Ja, es gibt die Arbeit, die zum Lebensunterhalt des Klosters und der ganzen Gemeinschaft beitragen soll. Auch soll die Arbeit und das damit Erwirtschaftete dazu beitragen, Armen und Bedürftigen zu helfen.

Es gibt aber auch Zeiten der Lesung, das heißt der Beschäftigung mit der Bibel und anderen geistlichen Texten. Das bekannte "ora et labora", "bete und arbeite", erhält hier einen weiteren Zusatz, den der Lesung. Der Tag des Mönches ist nach Benedikt aufgeteilt zwischen Gebet, Lesung (geistliches Studium) und Arbeit.

Der Mensch darf nicht mehr Mensch sein

Unserer Gesellschaft mangelt es an dieser Harmonie. Die einen haben trotz intensiven Bemühens keine Arbeit, die anderen haben Arbeitstage von bis zu 16 Stunden. Daran krankt unsere Gesellschaft; denn sowohl durch zu viel als auch durch zu wenig Arbeit wird der Mensch krank, sowohl am Leib, vor allem aber an der Seele. Der Mensch darf nicht mehr Mensch sein.

Zum Menschsein gehört Arbeit und Ruhe

Nach dem biblischen Zeugnis gehört die Arbeit von Anfang an dazu. Im Schöpfungsbericht heißt es: "Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und hüte" (Gen 2,15). Von Anfang an, noch in "paradiesischen Zeiten" gehört die Arbeit zum Menschsein dazu (das Schlaraffenland, in dem die gebratenen Tauben den Menschen in den Mund fliegen, entmündigt den Menschen und macht träge und faul - zutiefst unmenschlich). Zwar bezeichnet die lateinische Sprache die Arbeit als etwas Negatives: "negotium"; das Positive hingegen ist die Muße: "otium". Aber auch hier gilt: Das Zusammenspiel beider Elemente macht das Menschsein aus!

Jesus selber wird als "Sohn des Zimmermanns" mit der Arbeit in Zusammenhang gebracht; die Jünger sind zu einem großen Teil Fischer, leben von ihrer Hände Arbeit, so wie der heilige Paulus sich als Zeltmacher seinen Lebensunterhalt verdiente. Und krass sagt er: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen" (2 Thess 3,10).

Heftige Auseinandersetzungen im Mönchtum

Im alten Mönchtum gab es bisweilen heftige Auseinandersetzungen darüber, ob der Mönch überhaupt arbeiten müsse. Eine kleine Geschichte soll das erläutern:

Ein Bruder kam zu Abt Silvanus auf den Berg Sinai, sah, dass die Brüder an der Arbeit waren und sagte zum Abt: "Müht euch nicht ab um die Speise, die verdirbt" (Joh 6,27). "Maria hat das bessere erwählt“ (Lk 10,42). Da sagte der Abt einem Jünger: Hole den Zacharias und lass diesen Bruder in ein leeres Häuschen führen. Als es Abend wurde und die neunte Stunde kam, wartete der Gast an der Türe, ob man käme, um ihn zum Essen zu rufen. Aber niemand ließ sich hören. Da stand der Gast auf, ging zum Abt und sagte: "Abba, essen die Brüder heute nicht?" Der Abt antwortete nun: "Doch, sie haben bereits gespeist!" Da fragte der Gast: "Aber warum hast du mich nicht gerufen?" Der Abt antwortete: "Du bist ein Geistesmann und bedarfst nicht solcher Speise, wir aber sind fleischliche Leute, und weil wir essen wollen, arbeiten wir mit unseren Händen. Du aber hast das Bessere erwählt, bist den ganzen Tag bei der Lesung und willst keine fleischliche Speise zu dir nehmen." Als der Gast das hörte, warf er sich zur Buße auf die Erde nieder und sprach: "Verzeih, mein Abba!" Der Abt aber sprach: "Ich denke: Maria ist ganz auf Martha angewiesen. Wegen Martha kann Maria gelobt werden."

Auf Ergänzung hin angelegt

Die uralte Auseinandersetzung zwischen Arbeiten-müssen und -dürfen und der Zeit für Geistliches ist so alt wie das Mönchtum, wie die ganze Christenheit. Die so oft quer sitzende Geschichte um Martha weist in den beiden Frauengestalten auf die Ergänzung hin, nicht auf ein Entweder - Oder.

Arbeit ist Teilhabe an der Schöpferkraft Gottes, hält die Schöpfung mit in Gang. Arbeit erniedrigt den Mensch nicht, sondern zeigt eben diese Teilnahme an der Göttlichkeit! Arbeit gibt dem Menschen Selbstbewusstsein, Selbstachtung und Würde. (Von denen, die wegen Krankheit etwa nicht arbeiten können, wäre an anderer Stelle zu reden.).

Arbeiten nach den je eigenen Fähigkeiten

Der klösterliche Alltag gibt Raum für vielfältige Arbeit. Es ist selten etwas "Weltbewegendes". Aber nach den Fähigkeiten des einzelnen kann sich jeder einbringen bis ins hohe Alter hinein.

Rente mit 67? Im Kloster keine Frage. Jeder kann so lange arbeiten, wie es seine Kräfte erlauben. Mögen es auch äußerlich betrachtet "nebensächliche" Aufgaben oder Dienste sein: Da kann sich jemand nach seinen Kräften einbringen und auf seine eigene Weise zum Wohl des Ganzen beitragen. (Hier wären Fragen an unsere Altenheime zu stellen: Die Menschen dürfen nicht arbeiten, da sie es ja "besser" haben wollen. Dabei werden die Menschen schlechter gestellt, da sie nicht arbeiten, d.h. nach den je eigenen Fähigkeiten und Kräften einbringen dürfen [auch das wäre ein eigenes Thema]).

Arbeit adelt den Menschen

Arbeit adelt den Menschen, lässt ihn am schöpferischen Wirken Gottes teilhaben, er gestaltet die Schöpfung und seine Umwelt verantwortungsvoll mit, folgt in der Arbeit dem armen Jesus nach - und entgeht durch die Arbeit einem der größten Übel, dem sich die Mönche und mit ihm alle Menschen ausgesetzt erfahren: der Akedia - dem müßigen Nichtstun, das den Menschen dazu verleitet, einfach auf die nächste Mahlzeit zu warten, die andere für ihn bereiten. So lässt die Arbeit den Menschen immer mehr Mensch werden - und teilhaben an der Wirklichkeit des Schöpfergottes.

Abt Friedhelm Tissen OSB, Abtei Kornelimünster

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Das Schwerpunktthema für Mai 2010

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Text: Abt Friedhelm Tissen OSB
In: Pfarrbriefservice.de