Weg von der Tütensuppe

Bruder Paulus im Gespräch über die Fastenzeit und die Chance, 40 Tage anders zu leben

Die Fastenzeit wird von vielen Menschen mit Verzicht und Entbehrung in Verbindung gebracht. Dass dies aber nicht so sein muss, zeigen der Religionslehrer Marcus C. Leitschuh und der Kapuzinermönch Bruder Paulus Terwitte in ihrem Fastenkalender „Trau dich, 40 Tage anders zu leben“. Dieser lädt dazu ein, 40 Tage lang die Zeit zu nutzen, um das Leben zu feiern: Dinge zu tun, die man schon immer einmal tun wollte, sich aber nie traute. Oder für die nie Zeit zu sein schien. Die beiden Autoren rufen dazu auf, in den Tagen vor Ostern die Zeit wertzuschätzen: Heute an das Gute glauben. Heute in die Sauna gehen. Heute einen Brief schreiben. Heute den Keller entrümpeln.

FRAGE: Aschermittwoch beginnen die 40 Tage der Fastenzeit. Was ändert sich bis Ostern für Sie ganz persönlich?

Bruder Paulus: Ich werde auf jeden Fall öfter spazieren gehen, und das mit der Liebeserklärung werde ich wohl auf Gott beziehen und mich fragen: Wie kann ich meine Liebe zu ihm ganz neu formulieren. Und dann werde ich auch einige Stunden mehr einplanen für Menschen, die mir etwas bedeuten und denen ich etwas bedeute: Gute Freunde sind einem eben auf dem Weg mitgegeben, man hat sie sich nicht ausgesucht, und deshalb sind sie auch immer wieder eine Herausforderung, der ich mich immer gern entziehe. Übrigens ist für mich auch klar: Kein Alkohol, nichts Süßes.

FRAGE: Fasten Mönche im Kloster besonders?

Bruder Paulus: Fasten ist mehr als nur der Verzicht auf Genussmittel. Sich ausrichten auf Gott, den inneren Schweinehund überwinden, noch mal verzeihen, eine Runde mehr beten, die Stille mit Gott suchen und den Lärm ausschalten - ach, das ist jeden Tag neu dran und sehr erfüllend, wenn man es aus Liebe zu Gott macht. Deshalb geht es in unserem Fastenkalender auch weniger um Verzicht als um Gewinn: Zeit gewinnen für Freunde, Kraft gewinnen für ein lange aufgeschobenes Telefonat, Mut, sich mal etwas Gutes zu tun...

FRAGE: "Trau dich, 40 Tage anders zu leben" heißt ihr zusammen mit Marcus Leitschuh herausgegebener Fastenkalender. Warum muss man überhaupt „anders leben“? Stimmt etwas nicht mit unserem normalen Leben?

Bruder Paulus: Ja, es stimmt wirklich nicht mehr mit dem Leben: Zu viele leben gar nicht mehr, sondern lassen sich leben, fragen sich immer wieder: Was muss m a n machen, was i s t angesagt. Sie sind nicht mehr Herr im eigenen Haus. Ich habe gemerkt, wie wenige Menschen sich trauen, mal aus dem Rahmen zu fallen. Es muss doch möglich sein, einfach eine neue Gewohnheit ins Leben zu bringen. Unser Kalender sagt deutlich: Die Fastenzeit ist eine Zeit der Horizonterweiterung. Raus aus der Spur - trau dich, mehr Leben ins Leben zu bringen. Versuch‘s mit natürlichem Kochen - weg von der Tütensuppe. Setz dich mal hin und mal mit deinen Fingern - weg vom Einerlei der gedruckten Kunst. Stell dich mal eine Stunde vor ein Bild - weg von der Bilderflut. -.

FRAGE: "Trau dich", das klingt wie der Vater, der neben dem Kind am Sprungbrett steht...

Bruder Paulus: Viele Menschen wissen genau: Ich müsste, sollte mal... Und dann trauen sie sich nicht. Was denken die andern? Jede Kalenderseite umfasst einen Tag. Die Vorschläge für den achtsamen Umgang mit dem Leben werden begleitet von einem Zitat aus der Bibel, einem Text bekannter Persönlichkeiten und Segensworten. Der Kalender kann aufgehängt oder aufgestellt werden.

FRAGE: Was empfehlen Sie denn Menschen, sich in der Fastenzeit zu trauen?

Bruder Paulus: Die Welt wäre viel lebendiger, auch das persönliche Leben, wenn Menschen sich trauen würden - und das nicht nur in der Fastenzeit - ein Gedicht zu schreiben, ein Bild zu malen, einen Fremden auf dem abendlichen Spaziergang endlich mal anzusprechen, nachdem man ihn schon hundertmal gesehen hat. Oder trauen Sie sich doch einfach mal, mit einem Armen ein Brot zu teilen oder auch, ein Gebet - jawohl: Gebet - auswendig zu lernen - jawohl, richtig gehört: Einfach mal auswendig zu lernen.

FRAGE: Fasten ist höchstens zur Gewichtsabnahme "in". Wobei ja "verzichten" durchaus aktuell ist in der "Geiz-ist-geil"-Gesellschaft...

Bruder Paulus: Furchtbar, wie das Wort Geiz verhunzt wird. Fasten, und das zeigen die Texte unseres Kalenders, ist etwas ganz Freigiebiges. Du nimmst dir die Freiheit, dir nicht alles zu nehmen, wozu du Lust hast ... das ist der Kick. Ich beweis mir selber, das ich auf nichts anderes abfahren will als auf Vernünftiges, auf das, was mir und anderen wirklich dient. Wenn es denn Gewichtsabnahme ist, bitte, aber ordentlich essen kann für einen Dürren auch Fasten sein.

FRAGE: Wenn die Fastenzeit vorbei ist, mit was belohnt sich der Mönch Bruder Paulus am Ostersonntag?

Bruder Paulus (lacht): Ich freu mich schon drauf, ein kräftiges Halleluja im Ostergottesdienst zu singen, denn das ist für mich in der Fastenzeit das Schmerzlichste: Wie im richtigen Leben solange auf die große Freude der Erfüllung der Sehnsucht warten zu müssen. Übrigens, auch wenn „Fastenkalender“ drauf steht: „Trau dich“ ist ein Programm, das unser Leben das ganze Jahr über verändern kann.

Bruder Paulus Terwitte, Marcus C. Leitschuh: Trau dich, 40 Tage anders zu leben. Der Fastenkalender. Verlag Herder, 2006. ISBN 978-3-451-28976-7

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Das Schwerpunktthema für März 2010

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Text: Verlag Herder
In: Pfarrbriefservice.de