"Weite Welt für uns ein Käfig"
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Jedes Jahr reisen Zehntausende Afghanen illegal nach Europa ein. Nur wenige schaffen es, ein neues Leben zu beginnen. Manche sterben auf der Flucht, viele andere stranden unterwegs, wie die Familie von Abdullah.
Abdullah, mittlerweile Ende 20, kommt aus der zentralafghanischen Unruheprovinz Daikundi. Vor zehn Jahren hatte er Afghanistan mit seinen Eltern und Geschwistern wegen einer Familienfehde verlassen, über deren Details er gegenüber der Deutschen Welle nicht sprechen will. Nur soviel, dass sie für ihn und seine Familie noch bedrohlicher war als die Anschläge der Extremisten. Die erste Station ihrer Suche nach einem neuen, sicheren Zuhause war der Iran. Dort seien sie fast täglich Schikanen ausgesetzt gewesen, sagt Abdullah, inzwischen Vater zweier Töchter, es habe dort keine Zukunft für sie gegeben.
Schließlich zieht die neunköpfige Familie weiter und reist illegal in die Türkei ein. Hier wenden sie sich an das Büro des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen und bitten um Asyl in einem westlichen Land. Drei Jahre lang warten sie vergeblich auf eine Antwort. In der Zwischenzeit arbeitet Abdullah schwarz auf Baustellen, um Geld für die Weiterfahrt nach Westeuropa zu sparen.
Von griechischer Küstenwache gerettet
Mit Hilfe eines Schleusers machte sich die Familie von Abdullah vor einigen Wochen zusammen mit anderen Flüchtlingen auf nach Griechenland. Fahrpreis pro Person: 1300 US-Dollar. Woher er das Geld für die alle hatte, erzählt Abdullah nicht. Vermutlich musste er sich in Afghanistan viel Geld leihen.
"Wir waren 25 Personen im Boot. Es war eine stürmische Nacht", erzählt Abdullah. "Sobald uns der Schleuser ins Boot gesetzt hatte, sagte er uns, wir sollten weiter auf diesem Kurs fahren und wir würden in Europa ankommen. Aber während der Fahrt setzte der Motor aus."
Die griechische Küstenwache entdeckt das Boot und schleppt es an Land. Die Polizei in Athen gibt den Flüchtlingen Dokumente für einen einmonatigen Aufenthalt. Übernachten müssen sie in einem Gebäude, das bereits mit anderen Flüchtlingen überfüllt ist. Für die Frau in Abdullahs Gruppe, die im achten Monat schwanger ist, gibt es keinen Ruheplatz. Abdullahs Familie entschließt sich nach einigen Tagen zur Weiterreise, seine Mutter ist alt, seine Schwester krank. Relativ schnell finden sie einen Schleuser, der verspricht, sie mit dem Auto nach Deutschland zu bringen. Er hat aber zu wenige Plätze für die ganze Familie, nur Hamid, der 24-jährige Bruder von Abdullah, kann mitfahren. Kostenpunkt: 1200 Euro. Abdullahs Familie und andere Flüchtlinge würden folgen, verspricht der Schlepper.
Tod auf dem Bahngleis
Kurz darauf zerstört eine Unfallnachricht die Zukunftsträume der Familie: 14 afghanische und somalische Flüchtlinge seien in Mazedonien von einem Zug überfahren und getötet worden. Die Flüchtlinge seien zu Fuß auf den Gleisen unterwegs gewesen, um so die serbische Hauptstadt Belgrad zu erreichen, heißt es in der Meldung. Hamid war in eben jener Nacht auf dieser Strecke unterwegs. Abdullah erfährt sehr schnell, dass sein Bruder unter den Opfern ist. Doch offiziell kann ihm weder die afghanische Botschaft noch eine andere Behörde den Tod seines Bruders bestätigen.
"Wir wollten unsere Reise fortsetzen. Aber nach diesem Unglück sind wir ratlos. Ich weiß nicht einmal, was ich mit der Leiche meines Bruders machen soll, wenn sie mir eines Tages übergeben werden sollte." Abdullahs temporäre Aufenthaltserlaubnis gilt nur noch eine Woche: "Hier lebe ich wie ein Gefangener, wie ein Verdächtiger. Meiner Mutter geht es nicht gut. Ein Arztbesuch ist praktisch unmöglich." Der Grund: Abdullah hat Angst, von der Polizei aufgegriffen zu werden, und er kennt keinen, der auf Griechisch für ihn dolmetschen würde. "Die weite Welt hat sich für uns in einen Käfig verwandelt", sagt Abdullah.
Arif Farahmand / Mehrnoosh Entezari (30.04.2015)
Quelle: Deutsche Welle, www.dw.de, In: Pfarrbriefservice.de
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Text: Arif Farahmand / Mehrnoosh Entezari, www.dw.deIn: Pfarrbriefservice.de