Wenn Katholiken aus der Kirche austreten
Vier Fragen an den Erfurter Bischof Joachim Wanke
Joachim Wanke ist Bischof des Bistums Erfurt und Mitglied der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz. In einem Interview mit pfarrbriefservice.de nimmt er Stellung zum Thema Kirchenaustritt.
Herr Bischof Wanke, können Sie nachvollziehen, wenn Menschen aus der katholi-schen Kirche austreten?
Bischof Wanke: Nachvollziehen kann ich das schon, aber ich bedaure es und kann es nicht gutheißen. Jeder Kirchenaustritt ist eine Distanzierung von der Kirche, die diese schwächt und – nicht zuletzt! – den Austretenden in seiner Beziehung zu Gott „heimatlos“ macht.
Wie argumentieren Sie, wenn Ihnen jemand sagt: „Damit die Kirche endlich aufwacht, gibt es von den Gläubigen nur ein Handeln, und zwar den massenhaften Austritt aus der Kirche.“?
Bischof Wanke: Mein Argument ist: Wer austritt, verzichtet auf die Möglichkeit, innerhalb der Kirche sich für Veränderungen einzusetzen. Das ist wie bei einer Familie: Wer sich distan-ziert, kann zwar von außen Urteile abgeben, aber er kann nicht wirklich mitreden, weil er nicht (mehr) in der Familie mitlebt.
Es gibt Möglichkeiten, sich mit seinen Überzeugungen, mehr noch mit seinem Engagement in die konkrete Kirche (Gemeinde, Verbände, Geistliche Gemeinschaften u. ä.) einzubringen. Zudem wäre zu fragen: Wer soll eigentlich „aufwachen“? Könnte es nicht auch ich selbst sein, der „aufwachen“, sprich: sich zum Evangelium bekehren müsste? Es ist immer leichter, auf andere zu zeigen, die angeblich an allem schuld sind.
Was raten Sie Gläubigen, die all die Jahre versucht haben, aufzutreten statt auszutreten, aber für sich enttäuscht feststellen, dass sie nichts bewegen können?
Bischof Wanke: Hier kommt es darauf an, was diese enttäuschten Gläubigen bewegen wollten. Man kann nicht alle kritischen Anfragen in einen Topf werfen. Den Zölibat abschaffen? Die Priesterweihe von Frauen einführen? Solche Dinge können nicht in den Bistümern, sondern nur durch das Lehramt auf der Ebene der Weltkirche geregelt werden – und da wäre vorher noch zu klären, ob es überhaupt einen theologisch begründbaren Handlungsspielraum gibt und ein Einvernehmen herstellbar ist, damit es nicht zu Kirchenspaltungen kommt.
Oder nehmen wir die Fragen, die sich bei der ethischen Bewertung mancher neuen Möglich-keiten in der Medizin ergeben und die nicht leicht zu lösen sind. Ein gutes Beispiel dafür ist jetzt etwa die Problematik der Untersuchung menschlichen Lebens im embryonalen Stadium außerhalb des Mutterleibes (Präimplantationsdiagnostik, PID). Die Lehre der Kirche ist eindeutig. Aber es gibt Katholiken, die das anders sehen. Sollte sich die Kirche wirklich für die Embryonenselektion aussprechen, um solche Gläubige nicht zu enttäuschen? Das wäre sicher der falsche Weg.
Sicherlich gibt es auch Fragen, die einer weiteren Klärung und ggf. einer verbesserten Regelung bedürfen. Es ist beispielsweise leider so, dass heute mehr Ehen scheitern als früher. Wie kann die Kirche noch besser helfen, dass solche Menschen bei einem Neuanfang nicht allein bleiben? Müssen hier nicht die einzelnen Situationen eine genauere Beurteilung erfahren? Ähnliche Fragen gibt es bei der Begegnung von Gläubigen im ökumenischen Bereich. Kann es unter bestimmten Umständen Kommunionzulassung geben, etwa für gläubige Lutheraner, die an die Gegenwart des Herrn im eucharistischen Brot glauben?
Eines können und sollten wir aber auf jeden Fall tun: aufeinander hören und im Gespräch bleiben, selbst wenn es unterschiedliche Meinungen gibt. Das kann helfen, Kirchenaustritten vorzubeugen.
Für die katholischen Bischöfe in Deutschland gilt ein Kirchenaustritt als „schwere Verfehlung“, die u.a. mit der Exkommunikation geahndet wird. Menschen, die aus Protest austreten, aber sich immer noch als gläubig empfinden, fühlen sich dadurch wohl erst recht nicht verstanden. Braucht es von amtlicher Seite her einen anderen Umgang mit ausgetretenen Christen?
Bischof Wanke: Die bewusste Entscheidung, nicht mehr der Kirche angehören zu wollen, ist keine Bagatelle. Man kann auch nicht zwischen einer idealen Kirche und der realen Kirche trennen. Meine Staatsbürgerschaft gilt für die reale Bundesrepublik Deutschland, nicht für eine ideale, die nur in meinen Vorstellungen existiert. Wenn die Kirche der Leib Christi ist (vgl. das Bild vom Weinstock und den Reben im Johannesevangelium), schneidet sich derjenige, der die Kirche willentlich verlässt, von der Quelle des Glaubens, von Christus selbst ab.
Sicherlich: Gewissensentscheidungen sind zu achten, auch bei jenen, die aus der Kirche bewusst austreten. Eine bloße Verärgerung über konkrete Verfehlungen in der Kirche sollte aber dafür kein Grund sein. Wer freilich überhaupt nicht mehr weiß, was die Kirche ist und was ihre wirklichen Schätze sind, zieht oft nur die Konsequenzen aus einer schon länger andauernden Entfremdung.
Ich wünschte mir, dass jene, die ausgetreten sind, für die Gemeinde im Blick bleiben. Einzelne Gläubige sollten, wenn gewünscht, mit ihnen im Kontakt bleiben. Es kommt immer wieder vor, dass dann doch im Laufe der Zeit manche sich wieder besinnen. Wenn da Türen aufgehalten werden und ein neues Willkommen gesagt wird, muss der Kirchenaustritt nicht das letzte Wort sein.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Elfriede Klauer, www.pfarrbriefservice.de
10.11.2010
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Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,03 MB
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Text: Bischof Joachim Wanke/Elfriede KlauerIn: Pfarrbriefservice.de