"Wer nichts sieht, wird nicht gesehen"

Von der Notwendigkeit einer Blindenseelsorge

Von rund 700 Personen in der Bevölkerung / Kirchengemeinde ist statistisch gesehen eine blind; hinzu kommen 3 bis 4 sehbehinderte. Sehbehinderung beginnt da, wo ein Ausgleich mit optischen Hilfen nicht mehr möglich ist. Sehbehinderung liegt vor, wenn mit allen Hilfsmitteln nicht mehr als 30 Prozent des als normal angenommenen Sehvermögens verfügbar sind. Fehlsichtigkeit kann mit optischen Hilfen ausgeglichen werden.

In Deutschland gibt es rund 1,2 Millionen Blinde und Sehbehinderte (2002). 24 Prozent der Blinden sind den Lebensaltern zwischen 18 und 60 Jahren zuzuordnen. Über 70 Prozent sind älter als 60 Jahre – bei den meisten tritt Sehbehinderung oder Erblindung erst im späteren Erwachsenenalter auf.

Blindheit und Sehbehinderung sind mehr als nur noch wenig oder nichts (mehr) sehen. Es handelt sich um ein Syndrom von Behinderungen in

  • der Mobilität ("Wann, wie, mit wem komme ich an einen anderen Ort ...?")
  • der Information ("Wo ist 'da' und 'dort' - wer sagt es mir genauer ...?" - "Ich kann nichts mehr lesen - wie weiter...?")
  • der Kommunikation ("Miteinander reden - ein Gesprächspartner muss ohne Augenkontakt und ohne Wahrnehmung der Körpersprache auskommen ...")

Die Belange blinder und sehbehinderter Menschen werden in Kirchengemeinden leider selten berücksichtigt: Der Einsatz visueller Medien und Materialien dominiert; die Information auf blinde Gemeindeglieder hin geschieht oft ungenügend oder gar nicht; meist fehlt es an Vorlesern und Begleitpersonen ...

Blindenseelsorge ist ein Arbeitsbereich in unserer Kirche, den blinde Menschen selbst initiiert haben – als christliche Selbsthilfe (Beginn in Deutschland 1904, in Bayern 1957). Zugehörigkeit zur Gemeinde Jesu Christi musste von Blinden selbst eingefordert werden. Gemeinsam mit Mitarbeitern aus Gemeinden und Diakonie wurde und wird sie gestaltet.

Arbeitsweisen und Aufgaben

Man muss die Situation Blinder und Sehbehinderter als „Diaspora“ bezeichnen. Sie sind eine kleine Minderheit innerhalb der Bevölkerung (auch in den Gemeinden!), auch Minderheit unter behinderten Menschen. Diese Grundsituation bestimmt die Arbeitsweisen der Blinden- und Sehbehindertenseelsorge, die gemeinden- und dekanatsübergreifend geschieht:

In regelmäßigen Treffen an zentralen Punkten entsteht eine Personalgemeinde. Hier wird „Raum“ für Blinde und Sehbehinderte geschaffen, wo man sich wegen des eigenen Andersseins nicht schon wieder erklären muss gegenüber Vollsehenden, wo man lebenspraktische Angelegenheiten erfragen bzw. weitergeben kann. Hier werden auch regelmäßig Themen aus Glauben, Kirche und Gesellschaft behandelt. Andachten bzw. Gottesdienste sind unverzichtbare Bestandteile der Treffen.

Freizeiten von 8 bis zu 14 Tagen machen eine weitere intensive Form der Gemeindearbeit aus („Gemeinde auf Zeit“). Sie bringen Menschen in ein Miteinander. Hier geschieht folgendes:

  • wechselseitiges Lernen von- und miteinander („es lohnt zu leben und zu hoffen“);
  • gegenseitige Hilfestellungen, um die gegebenen Beeinträchtigungen im Bereich Information, Mobilität und Kommunikation in manchem überbrücken zu können;
  • Begegnung und Bestärkung mit dem Evangelium („Mit meinen Lebenserschwernissen, mit meinen verbliebenen und neu angeeigneten Möglichkeiten und meinen Grenzen bin ich ein ganzer Mensch – zur Hoffnung fähig und berufen“).

Einzelarbeit

Beratung, Einzelseelsorge und Kontakte durch direkte Gespräche bei Hausbesuchen, am Telefon, durch Briefe in Schwarzschrift und elektronisch, in Blindenschrift und auf Hörkassette bzw. Daisy-CD. Blinden- und Sehbehindertenseelsorge heißt Begleitung, Beratung und Seelsorge angesichts bleibender und voranschreitender Einschränkungen und unwiederbringlichen Verlusts. Die normalen „Wechselfälle des Lebens“ kommen immer auch noch zusätzlich hinzu.

Hilfen geben

Die bestehende Informations-, Kommunikations- und Mobilitätsbehinderung fordert die Blinden- und Sehbehindertenseelsorge, entsprechende Überbrückungshilfen selbst zu entwickeln, umzusetzen und bereit zu stellen. Stichworte sind die Organisation von Fahrtdiensten bzw. Hilfe bei der Organisation von Weg-Bewältigungen einschließlich Vermittlung von Begleitpersonen; Herstellung von Informationsmaterialien in Blindenschrift, in Maxidruck, auf Hörkassette / CD.

Erforderlich ist, dass Anwaltschaften für diesen Personenkreis zu übernehmen sind. Herausforderungen bestehen fortgesetzt darin, ehren- und nebenamtliche Mitarbeitende, die in der Treffpunktarbeit der Regionen tätig sind und diese Arbeit dort selbstständig organisieren, zu gewinnen und zu unterstützen. Blinden- und Sehbehindertenseelsorge geschieht in den Regionen jeweils in örtlicher Rechtsträgerschaft der Diözesen oder Dekanate.

Georg Ruhsert
Pastoralreferent im Blindeninstitut Würzburg

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Das Schwerpunktthema für August 2010

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Text: Georg Ruhsert
In: Pfarrbriefservice.de