"Wir holen dich da raus": Jugendlichen in Südafrika helfen
Michael Golden (Name von der Red. geändert) aus Südafrika war 13 Jahre, als ihn sein Onkel zu einem Banküberfall mitnahm. Der Junge sollte auf die Karriere in einer berüchtigten Gang vorbereitet werden. Dank eines Projekts in Kapstadt mit Unterstützung des „Clubs der Guten Hoffnung” konnte er der Armut und Kriminalität entfliehen.
Das Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden, ist in kaum einem Land der Welt so hoch wie in Südafrika. Gerade in Kapstadt, einem der Austragungsorte der Fußballweltmeisterschaft 2010, prallen die Erste und so genannte Dritte Welt aufeinander. Auf der einen Seite gläserne Wolkenkratzer, Fünf-Sterne-Hotels und Autohäuser mit italienischen Sportwagen – wenige Hundert Meter weiter hausen Frauen, Kinder und Männer unter Wellblechstücken und Pappe, kämpfen Straßenkinder ums Überleben.
Michael Golden kennt dieses Milieu. „Meine Kindheit war glücklich“, sagt er, „wenn da nicht mein Onkel gewesen wäre.“ Eigentlich bewundert er ihn, weil er ein Auto besitzt, und freut sich immer, wenn er ihn auf eine Spritztour mitnimmt. Bis zu jenem Tag, als sie wieder einmal durch Kapstadt fahren. Als der Onkel den Wagen vor einer Bank parkt, sagt er nur: „Michael, warte hier im Auto auf mich.“ Er wird bestimmt nur schnell Geld abholen, denkt sich der Teenager. Dann schrillt der Alarm, sein Onkel rennt aus der Bank, reißt die Wagentür auf und gibt Gas. Eine halbe Stunde dauert die Raserei, dann setzt er seinen Neffen zu Hause ab. Tage später hat ihn die Polizei gefunden. Die Mutter weint, der Vater schimpft: „Was hast du angestellt?“. Der 13-Jährige wird in Handschellen abgeführt.
Michael wird in eine Zelle mit sieben Häftlingen gesteckt. Hier gilt das Recht des Stärkeren. „Wer bislang nicht kriminell war, wird es in südafrikanischen Gefängnissen“, sagen Insider. Michael hat Glück. Während sein Onkel zu 15 Jahren Haft verurteilt wird, kommt er wieder auf freien Fuß. Doch nichts ist wie vorher. Es gibt Streit zu Hause, Michael schwänzt die Schule, haut von seinen Eltern ab und endet als Straßenkind. „Ich habe um Essen gebettelt und die meisten Menschen haben mich wie den letzten Dreck behandelt.“ Besonders schwierig ist es, einen sicheren Schlafplatz zu finden. Denn überall tauchen die Gangs auf, die in Kapstadt ihre Reviere aufteilen. „Wenn ihr bei uns mitmacht, seid ihr sicher und wir tun euch nichts “, sagen sie den Straßenkindern. Die Gangs brauchen die Minderjährigen als Drogenkuriere. Wenn sie älter werden, werden sie bei Überfällen eingesetzt.
An einem jener Wintertage, an denen es nach Sonnenuntergang selbst in Kapstadt frostig kalt wird, erhält Michael unerwartet Hilfe. Es ist John, ein Streetworker des Salesianer-Ordens, der ihm nicht mit frommen Sprüchen kommt, sondern mit einer warmen Decke. In den nächsten Wochen schaut John regelmäßig vorbei und schließlich lädt er Michael zum Fußballspielen ein.
Fußball ist ein Wundermittel bei vielen Hilfsprojekten in Südafrika, um Straßenkinder und Jugendliche in Gangs anzusprechen und sie zum Ausstieg zu bewegen. Michael weiß: Dies ist seine einzige Chance, wenn er nicht auf der Straße oder im Gefängnis enden will. Sie treffen sich mehrmals zum Kicken. Nach einigen Wochen erhalten Michael und einige andere Jugendliche das Angebot, für zehn Tage in ein Feriencamp der Salesianer zu kommen.
„Wir wollen den Jungs die Chance geben, darüber nachzudenken, was sie wirklich wollen. Wer unser Angebot annimmt, den holen wir mit vereinten Kräften da raus“, erläutert Nelly Burrows, die ebenfalls für das Projekt der Salesianer arbeitet. Michael nutzt die Chance ebenso wie zwei Jugendliche, die durch Tattoos lebenslänglich als Mitglieder der brutalen Gang „Americans“ gekennzeichnet waren. Sie lassen das Brandzeichen durch größere Tätowierungen übermalen und steigen ebenfalls aus. Dann ziehen sie in das Wohnheim der Salesianer ein. Sie holen die Lektionen aus der Schule nach und beginnen eine handwerkliche Berufsausbildung. „Am Anfang fällt es den Jugendlichen nicht leicht, sich an die Regeln zu halten“, berichtet Nelly Burrows über das 18-monatige Programm. Aber bislang kam es nur einmal zu einem Zwischenfall, als einer der Jugendlichen einen Mitarbeiter mit einem Messer bedrohte.
Nelly Burrows hat die Erfahrung gemacht, dass es außerhalb des Projektes oft gefährlicher ist als bei der Arbeit mit den Jugendlichen, die eine Chance erhalten. Sieben Mal wurde die 42-Jährige Opfer eines Verbrechens. Die Ursache, warum Südafrika zu einem der weltweiten Spitzenreiter in puncto Gewalt und Kriminalität geworden ist, sieht Nelly Burrows in dem moralischen Verfall der Gesellschaft. „Vor über zehn Jahren wurden Religion und Sport in den Schulen als Pflichtfächer abgeschafft. Nach meiner Einschätzung begann damals die Auflösung der Werte, und die Kriminalitätsrate steigt seitdem.“
Genau darum bilden das Fußballspielen und die Glaubensangebote in dem Projekt eine so wichtige Rolle für die Jugendlichen. Statt rumzuhängen und auf dumme Gedanken zu kommen, powern sie sich beim Kicken aus und lernen Teamgeist. „Das Spirituelle ist wichtig für sie“, weiß Nelly Burrows. „Denn sie suchen nach ihrem Sinn im Leben und können viel Kraft aus dem Glauben schöpfen, anstatt den Drogen zu verfallen.“
Wenn die harten Jungs, darunter Christen und Muslime, sich jeden Mittwoch zum Gebetskreis treffen, dann wird ihr weicher Kern sichtbar. Und der heute 21-jährige Michael, der sich durchs Leben geboxt hat, betet dann für eine bessere Zukunft. Inzwischen hat er seine Ausbildung absolviert, verdient seinen Lebensunterhalt in einer Druckerei und träumt von einer Familie mit Kindern. Besonders freut sich der Fußballfan Michael auf die Fußballweltmeisterschaft in seiner Heimat. „Allerdings sollten die Fans aufpassen, wenn sie in Südafrika sind“, meint Michael. „Ich kenne die Typen, die den Ausländern auflauern und sie verfolgen, wenn sie gerade in der Bank Geld gewechselt haben. Schleppt nicht immer eure Wertsachen mit euch rum, wedelt nicht mit Kreditkarten und passt auf, ob ihr nicht beobachtet werdet“, rät er. „Seid nicht unvorsichtig, dann ist Südafrika ein wunderschönes Land.“
Jörg Nowak
Quelle: www.club-der-guten-hoffnung.de
„Der Club der guten Hoffnung“ ist eine Aktion des Internationalen Katholischen Missionswerkes missio in München, von Mission EineWelt, des evangelischen Missionswerkes Deutschland und des ev.-luth. Missionswerkes in Niedersachsen zur Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Die ökumenische Kampagne wirbt für kirchliche Projekte gegen Jugendgewalt in Südafrika und Deutschland und fördert den Austausch zwischen südafrikanischen und deutschen Jugendlichen. Der „Club“ wird in Bayern vom Ministerium für Unterricht und Kultus unterstützt.
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Text: Jörg Nowak, www.club-der-guten-hoffnung.deIn: Pfarrbriefservice.de