Wo bleibt die Vatikan-Initiative gegen Aids?

Die einzig angemessene Antwort der Kirche wäre, die Pandemie nicht mit moralischen Argumenten zu bekämpfen, sondern die infizierten Menschen mit Gottes bedingungsloser Liebe zu umfangen - einer Liebe, die sich nicht nur um die Kranken sorgt, sondern offen ist für alle menschlichen Realitäten. Und die aufhört, betroffene Menschen zu verurteilen, fordert Stefan Hippler, katholischer Pfarrer in Kapstadt, in einem Beitrag für die Zeitschrift "Die Zeit":

Simbabwe, Sambia, Swasiland, Lesotho, Botswana: Das sind die Länder mit den höchsten HIV/Aids-Raten der Welt; allein in Südafrika hat das tödliche Virus weit über fünf Millionen Menschen infiziert. Als Papst Benedikt XVI. vorige Woche (Anfang Juni 2005, Anm. d. Red.) die Bischöfe aus dem südlichen Afrika empfing, teilte er deren „tiefe Sorge über die durch Aids verursachte Zerstörung“. Zugleich bekräftigte er, dass nur Keuschheit und Treue den „einzig sicheren Weg“ wiesen, um der Ausbreitung der Seuche vorzubeugen. Der neue Pontifex knüpft an die alte Lehre an. Doch außerhalb des Vatikans hat die Debatte über die Immunschwächekrankheit und die Haltung der katholischen Kirche neu begonnen.

Die Enzyklika Humanae vitae, in der 1968 das Verbot der Empfängnisverhütung festgeschrieben wurde, hatte jede Diskussion zum Erliegen gebracht. Heute erkennen wir, dass die vatikanische Lehre, die unter anderem den Gebrauch von Kondomen verbietet, als Todesurteil für diejenigen bewertet werden kann, die dieser Sexualmoral unserer Kirche folgen. Das gilt besonders für afrikanische Ehefrauen, deren Männer untreu sind. Afrika hat Tausende solcher Schicksale zu erzählen, aber keiner hört zu, nicht einmal die Kirche, die das Leben unter allen Umständen schützen will.

Millionen von Aids-Toten sind auch Millionen von toten Katholiken. Doch haben die meisten Kirchenführer gelernt, zu schweigen und fragend nach Rom zu blicken. Welche Wege sollen wir gehen? Die katholische Kirche ist eine Gemeinschaft der Heiligen und der Sünder, und wir haben Sorge zu tragen für beide. Das 2. Vatikanische Konzil ruft uns Christen auf, die Zeichen der Zeit zu erkennen - und HIV/Aids ist ein solches Zeichen. Die einzig angemessene Antwort der Kirche wäre, die Pandemie nicht mit moralischen Argumenten zu bekämpfen, sondern die infizierten Menschen mit Gottes bedingungsloser Liebe zu umfangen - einer Liebe, die sich nicht nur um die Kranken sorgt, sondern offen ist für alle menschlichen Realitäten. Und die aufhört, betroffene Menschen zu verurteilen.

Ich bitte die Theologen und Bischöfe, diesen Weg ehrlich und ernsthaft zu diskutieren, und zwar schnell, denn unsere Brüder und Schwestern sterben, und wir laufen Gefahr, uns an ihnen zu versündigen. Ich lade unsere Würdenträger ein, eine Blechhütte in den Elendsvierteln von Kapstadt zu besuchen und die Hand eines Menschen zu halten, der an den Folgen von Aids stirbt. Ich lade sie ein, mit einer Ehefrau zu sprechen, deren Mann HIV-positiv ist, und ihr ins Gesicht zu sagen, dass sie keine Kondome benutzen darf.

Ich bin nur ein einfacher Priester. Ich kann nicht aufhören, die Schreie der Verzweiflung und des Leidens zu hören. Wir müssen alles tun, um die Ausbreitung von HIV/Aids zu stoppen. Nur so können wir vermeiden, dass die katholische Kirche in fünfzig Jahren wieder ein Schuldbekenntnis ablegen muss - es käme zu spät für Millionen von Menschen.

Wir brauchen eine Aids-Theologie, aber nicht als akademische Verlautbarung der Kurie, sondern als eine neue, lebendige Lehre von HIV-positiven Menschen. Denn hier, bei den Infizierten, bei den Leidenden und Sterbenden, bei denen, die in Gefahr sind, sich anzustecken, bei unseren Brüdern und Schwestern, hier finden wir Gott, hier finden wir unseren Bruder Jesus, die Quelle und den Ursprung unserer Theologie.

Stefan Hippler (veröffentlicht in „Die Zeit“, 25, 16. Juni 2005)
Stefan Hippler war von 1997 bis 2009 Pfarrer der deutschsprachigen römisch-katholischen Gemeinde in Kapstadt und arbeitet seit dem 1.Oktober 2009 als Fidei Donum Priester mit dem Arbeitsbereich HIV/AIDS in der Erzdiözese Kapstadt.

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Text: Stefan Hippler, DIE ZEIT
In: Pfarrbriefservice.de